SOFIA. Es gibt viele Menschen in Bulgarien, denen die alltägliche Korruption in ihrer Heimat zum Hals heraushängt. Dieser Personenkreis es leid, jedes Jahr in den Zeitungen über die Ermahnungen und Warnungen der Europäischen Union lesen zu müssen. Nichts wäre ihnen lieber, als wenn die teilweise krassen Zustände bei der Vergabe von Aufträgen von staatsnahen Unternehmen rasch aus der Welt geschafft würden. Aber die Regierung in Sofia ist dazu offenbar nicht imstande. Zu eng sind die Seil- und Freundschaften, die sich durch weite Teile der wohlhabenderen Gesellschaft bis hin zu den politischen Mandataren ziehen, als dass sich daran bald etwas ändern könnte.
Aber auch von der Europäischen Union komme viel zu wenig Unterstützung bei der Bekämpfung der Missstände, beklagen die Gesprächspartner in Sofia. Folglich blüht die Korruption auf allen Ebenen. So gibt es in bulgarischen Unternehmen unverändert Versand- und Logistikleiter, die sich bei den Auftragsvergaben von der Höhe der Zuwendungen durch die Transporteure, Spediteure und Logistikdienstleister beeinflussen lassen. Ihr Handeln wird vom Umstand begünstigt, dass es in dem südosteuropäischen Land noch relativ wenig große Ausschreibungen gibt. Stattdessen dominieren die Spotgeschäfte, bei denen die internationalen Speditionen mit strengen „Compliance“-Regeln einen schweren Stand haben.
Anton Stoykov, Managing Director cargo-partner Bulgarien, enthält sich dazu eines offiziellen Kommentars. Zwar stellt er die in der Einleitung beschriebenen Zustände nicht in Abrede, jedoch sieht er in der klaren „Zero-Tolerance-Compliance“ von cargo-partner auch eine besondere Attraktivität insbesondere für multinationale Auftraggeber. Es gibt allerdings andere Entwicklungsszenarien, die seinem Arbeitgeber und den diversen internationalen Branchenkollegen das Leben schwer machen. So liegen die Gehälter im ganzen Land nach wie vor auf einem niedrigen Niveau. Deshalb sowie aus tiefer Frustration über die grassierende Korruption kehren die besser ausgebildeten Fachkräfte Bulgarien in Scharen den Rücken. Sie verlegen ihren Lebensmittelpunkt nach Deutschland, Österreich, Italien, Frankreich, Spanien oder in andere EU-Staaten, und dieser „Brain Drain“ hinterlässt eine tiefe Lücke in der Gesellschaft. Es gibt praktisch keinen adäquaten Ersatz für sie.
Ein weiteres schwerwiegendes Problem für die Unternehmen aus der Transport- und Logistikbranche ist der unverändert große Aufholbedarf im Bereich der Verkehrsinfrastruktur. Dies ungeachtet der Tatsache, dass in Bulgarien jedes Jahr rund 150 Kilometer neue Autobahnen entstehen. Der tatsächliche Bedarf übersteigt diesen Wert um das Drei- bis Vierfache. „Außerdem sind die Seehäfen und Flughäfen sehr alt und müssten dringend modernisiert werden“, beklagt Anton Stoykov im Gespräch mit der Österreichischen Verkehrszeitung. Der Spediteur kann sich nicht erinnern, wann zuletzt ein Cent in die drei Donauhäfen in Ruse, Vidim und Lom investiert wurde. Das müsse schon eine Ewigkeit her sein, lautet seine Einschätzung.
Vor diesem Hintergrund entwickelt sich die im Oktober 2003 gegründete bulgarische Landesgesellschaft der internationalen Logistikgruppe cargo-partner prächtig. Was mit Services in der Luft- und Seefrachtspedition begonnen hat, präsentiert sich heute als Komplettanbieter von Transport- und Logistikdiensten mit dem 2018 eröffneten iLogistics Center in Sofia als Aushängeschild. Die Anlage mit 22.000 Palettenstellplätzen und 16.000 m² Hallenfläche bildet das Rückgrat der Kontraktlogistik, die man vor etwa drei Jahren in das Portfolio aufgenomen habe, wie Anton Stokov berichtet. Er ist zuversichtlich, dass die Modernisierung der Schienenverbindung zum Anschlussgleis des Terminals bis 2020 einen Abschluss findet, „womit wir uns dann auch in der Bahnspedition engagieren könnten“. Interesse daran sieht er speziell bei den internationalen Kundenkreisen gegeben – Stichwort CO2-Fußabdruck!
Mit 140 Mitarbeitenden an eigenen Standorten in Sofia (Zentrale), Plovdiv und Varna und zuletzt 20,5 Mio. Euro Jahresumsatz ist cargo-partner laut eigenen Angaben die viergrößte Spedition in Bulgarien nach DB Schenker, M&M und Unimasters. Im Segment Luftfracht besetzt das Unternehmen die Spitzenposition. In der Seefracht ist man mit 4.000 TEU Jahresaufkommen gut positioniert, und auch im Landverkehr (national/international) für Stückgüter, Teil- und Komplettladungen laufen die Dinge immer besser. In der Kontraktlogistik vermutet Anton Stoykov das größte Entwicklungspotenzial bei internationalen Unternehmen mit Plänen für Großinvestitionen in Bulgarien.
Zum Kreis dieser Kandidaten gehört der Volkswagen-Konzern, dessen Pläne für die Realisierung einer weiteren Automobilproduktion in Südosteuropa weit fortgeschritten sind. Es geht nur mehr um die Klärung der Frage, ob das Werk in Bulgarien oder in der Türkei entstehen soll. Die Gesamtinvestition dürfte rund 5 Mrd. Euro betragen. „Dazu kämen dann noch die Projekte der zahlreichen VW-Zulieferer“, sagt Anton Stoykov. Und, so ergänzt er: „Das würde der gesamten Transport- und Logistikbranche in unserem Land einen massiven Aufschwung bescheren.“ Wobei das relativ zu sehen ist. Auch so wächst cargo-partner Bulgarien im laufenden Jahr voraussichtlich um knapp 20 Prozent auf 24 Mio. Euro Umsatz.
Bulgarien sei lange Zeit ein stark von Importen aus Europa, China, Indien und anderen Weltregionen geprägter Logistikmarkt gewesen. Das habe sich in den letzten drei bis vier Jahren dank der steigenden Exporte der Automobilzuliefer-, Kupfer– sowie Lebensmittelindustrien geändert, berichtet Anton Stoykov. Er bezeichnet das als eine gravierende Veränderung, die den Seehäfen Burgas und Varna deutliche Mengensteigerungen bei den internationalen Bulkverschiffungen beschert, während die Containerfrachten größtenteils über Thessaloniki laufen. Für Anton Stoykov liegt das auch in der guten Straßenverbindung zwischen Sofia und der griechischen Hafenstadt begründet. Die Fahrzeit von und nach Sofia beträgt ungefähr vier Stunden.
Außerdem profitiert Thessaloniki von der um vier bis fünf Tage kürzeren Abwicklung der Asien-Seefrachten im Vergleich zu Burgas und Varna. Die Verschiffungen in den griechischen Port erfolgen im Transhipment über Piräus. Das gehe deutlich schneller als die Alternativen von Port Said oder Istanbul ins Schwarze Meer, weiß Anton Stoykov aus Erfahrung. Für ihn ist die Einführung eines Direktdienstes von Ostasien nach Thessaloniki nur eine Frage der Zeit. „Wenn alles gut geht, könnte dieses Szenario im Laufe der Jahre 2020 oder 2021 Realität werden“, lautet seine Einschätzung. Bis dahin soll auch das cargo-partner Sales Office in Skopje in Nord-Mazedonien den Status als eigene Niederlassung erhalten.
JOACHIM HORVATH