WIEN. Am Ende seiner Erläuterungen über die „Maritime Seidenstraße“ kommt Thomas Kargl auf die Logistikdrehscheibe Duisburg zu sprechen. Es sei bemerkenswert, „was hier in den letzten 20 Jahren geschaffen wurde“. Die Ansiedelung von Großspeditionen, Industrie- und Handelsunternehmen habe neue Impulse in einer Region gesetzt, deren Zukunft aufgrund des Strukturwandels ernsthaft gefährdet schien. So aber tue sich hier wieder viel – und es gibt Pläne für den Ausbau der Aktivitäten, sagt der Vorstand der Rail Cargo Group anerkennend. Und, so ergänzt er: „China ist ein großer und wichtiger Partner für die Unternehmen im Wirtschaftsraum Duisburg geworden.“
Was im Ruhrgebiet mit „deutscher Energie“ entwickelt wurde, könnte Nachahmer in Ost- und Südosteuropa finden. Ein möglicher Kandidat dafür ist „Great Stone“ in Weißrussland. Hier entsteht an der Peripherie der Hauptstadt Minsk ein Industrie- und Logistikpark der Superlative. Thomas Kargl hat das riesige Areal Anfang Juli besucht. Dabei sind ihm die vielen chinesischen Menschen aufgefallen. Außerdem sei hier alles auch in chinesischen Schriftzeichen angeschrieben, hält er im Rückblick fest. Das bestätigt seine Überzeugung, „dass die Großkonzerne aus dem Reich der Mitte in Zukunft auch auf die Hinterlandlogistik Einfluss nehmen werden“.
Dafür benötigen die chinesischen Unternehmen leistungsfähige Bahnstrecken – insbesondere auf der Magistrale von Piräus nach Serbien, Ungarn, Österreich, Slowakei und Tschechien – und Terminals für den Umschlag Straße-Schiene in Zentral-, Ost- und Südosteuropa. Die Modernisierung der Bahnstrecke von Belgrad nach Budapest befindet sich bereits in der Umsetzung. Auch beim Themenkomplex Bahnterminals geht dem Vernehmen nach einiges voran. Hier könnten schon bald erste konkrete Ergebnisse verlautbart werden, erfuhr die Österreichische Verkehrszeitung aus gut informierten Kreisen. Falls nicht, ist es nur eine Frage der Zeit, wann besagtes Szenario eintritt. „China hat Geld ohne Ende“, bemerkt Thomas Kargl dazu mit Respekt.
Aber nicht nur deshalb sieht der RCG-Vorstand eine Zeitenwende heraufdämmern. Nach seiner Einschätzung der Sachlage sind die chinesischen Investoren auch super-aktiv und beweglich. Außerdem haben sie die für die Auslastung der Hafenumschlaganlagen, Blockzüge und Terminalstandorte im CEE/SEE-Hinterland notwendigen Mengen in der Hand. Man kann hier also fast schon von einem Selbstläufer sprechen, wenn die Defizite im Bereich der Verkehrsinfrastruktur in der Region Westbalkan beseitigt werden. Wie das funktioniert und zu welchen Ergebnissen das führt, zeigt das Vorgehen der Cosco Goup im griechischen Seehafen Piräus, der nach maßgeblichen Investitionen in die Modernisierung sowie Erweiterung des Containerterminals einen bemerkenswerten Aufschwung verzeichnet.
Davon profitiert auch die Rail Cargo Group. Die Güterverkehrstochter der ÖBB-Holding wurde vom Operator im Netzwerk der Cosco Shipping Lines als Partner für die Durchführung der Bahntransporte von Piräus nach Zentraleuropa ausgewählt. In Spitzenzeiten beanspruchte das Containervolumen zehn bis elf Züge in der Woche. Das ging solange gut, bis einige Betrugsfälle zum Vorschein kamen. Manche Importeure hatten die Waren aus China falsch deklariert, woraus der Europäischen Union Zollabgaben in gewaltigem Umfang entgangen sind. Als Reaktion darauf erhielt das Europäische Amt für Betrugbekämpfung OLAF von der EU-Kommission den Auftrag zu groß angelegten, strengen Prüfungen. Das führte zu einer vorübergehenden Abflachung des Sendungsvolumens, doch mittlerweile stabilisiert sich der Containerverkehr wieder.
Aktuell traktioniert die Rail Cargo Group wöchentlich sieben bis neun Rundlaufzüge von und nach Piräus. Davon verkehrt die Mehrzahl zwischen dem Hafen und Budapest. Der BILK-Terminal in der ungarischen Hauptstadt bekleidet die Rolle als Drehscheibe für die Sammlung und Weiterleitung der Containerfrachten in ganz Europa. „Außerdem gibt es noch Direktzüge von Piräus nach Bratislava und Duisburg“, erklärt Thomas Kargl. Die Laufzeit der Bahnshuttle liegt in der Bandbreite von drei bis vier Tagen. Es gibt umfangreiche Bauarbeiten auf der Westbalkan-Route, wodurch in aufkommensstarken Phasen Kapazitätsengpässe und Verzögerungen auftreten können.
Generell teilt Thomas Kargl den Standpunkt vieler Experten, wonach das Engagement der Cosco Group in Piräus den Containerverkehr auf der Schiene in den Staaten am Westbalkan befruchtet. Jedoch müssten die chinesischen Investoren zur Steigerung der Flexibilität sowie zwecks Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Leercontainerversorgung der Kunden in Zentral-, Ost- und Südosteuropa weitere Knotenpunkte für die „Maritime Seidenstraße“ etablieren. Vorstellbar sind Drehscheiben in Rijeka oder Triest. Dafür ruft sich die Rail Cargo Group jetzt schon als leistungsfähiger Partner für die Erweiterung der Cosco Shipping-Seehafenhinterlandverkehre auf der Schiene – die auch ab Hamburg, Rotterdam bestehen – in Empfehlung.
JOACHIM HORVATH