WIEN. Wo sonst, wenn nicht in Bosnien Herzegowina soll in Südosteuropa etwas Neues entstehen. Das Land in der Region Westbalkan hat einen großen wirtschaftlichen Aufholbedarf. Es ist geprägt von schweren politischen Konflikten zwischen den muslimischen, kroatischen und serbischen Bevölkerungsgruppen. Zudem blüht hier – man muss das so sagen – die Schattenwirtschaft. Das verleiht ihm einen zweifelhaften Ruf in der internationalen Staatengemeinschaft. Jedoch geht es im Wirtschaftsleben auch um die Entwicklung von Absicherung von Einflusssphären. Diesbezüglich ist Bosnien Herzegowina eine Zukunftsmarkt für chinesische, russische und türkische Investoren.
Wenn nur eines dieser geopolitischen Schwergewicht Nägel mit Köpfen in Form von Großinvestitionen in neue Industrieanlagen und in die Ertüchtigung der Infrastruktur am Westbalkan macht, wäre dem Land schon gedient. Derzeit geht hier China mit gutem Beispiel voran, dessen Staatskonzerne von der Logistikdrehscheibe in Piräus ausgehend neue Verkehrswege in die Wirtschaftszentren in Zentral- und Osteuropa aufbauen – insbesondere nach Serbien und Ungarn. Jetzt gibt es erste Anzeichen für ein verstärktes Engagement in Kroatien. Cosco Shipping Lines hat Mitte März den ersten Ganzzug von Rijeka nach Budapest auf die Schiene gesetzt. Im Hafen Ploce wurde kürzlich eine chinesische Wirtschaftsdelegation gesichtet.
Serbien auf der einen sowie Bosnien Herzegowina auf der anderen Seite gehören zum Hinterland der zwei kroatischen Seehäfen. In Rijeka läuft gerade ein großes und ganz stark von der Europäischen Union unterstütztes Ausbauprogramm. Unter anderem entsteht hier ein Tiefwasser-Containerterminal. In Ploce sind die Würfel für Zukunftsinvestitionen noch nicht gefallen. Allerdings treffen die potenziellen chinesischen Investoren normalerweise schnelle Entscheidungen, wenn sie von einer Sache überzeugt sind. Dabei gereicht ihnen der Umstand zum Vorteil, dass ihre Initiativen in strukturschwachen Regionen mit fehlenden Finanzmitteln für Eigeninvestitionen eine besondere Wertschätzung finden.
Wenn das alles zu einer Zunahme der Containerverkehre von und nach Bosnien Herzegowina führt, wovon man ausgehen kann, dann wird über kurz oder lang eine Nachfrage nach intermodalen Transportlösungen auf dem Schienenweg entstehen. Momentan sind die Seehafen-Hinterlandverkehre in das Land am Westbalkan und retour voll und ganz den Containertrucking-Spezialisten vorbehalten. Das liegt im Fehlen eines Bahnterminals begründet, aber das dürfte sich rasch ändern. Jedenfalls erfüllt die Trade Trans Group des Unternehmers Dieter Kaas seit März 2019 alle Voraussetzungen für die Etablierung einer entsprechenden Anlage für die Abfertigung von maritimen und kontinentalen Ganzzügen. Sowohl die Bahngesellschaft als auch die Regierung in der Republik Srpska haben grünes Licht für die Umsetzung des Projekts gegeben.
Pläne für eine leistungsfähige intermodale Umschlaganlage Schiene-Straße sind eine Sache. Ihre Umsetzung in einem herausfordernden Umfeld wie am Westbalkan setzt aber noch viel mehr voraus. Selbst wenn das Kapital dafür vorhanden ist, muss der geeignete Standort dafür gefunden werden. Nicht zu vergessen die Bereitschaft zur Entsendung der Assets in die Region. Hierbei ist die Trade Trans Group seit der Anschaffung von jeweils rund 100 Stück Trailer- und Containertragwagen im Wert von 24 Mio. Euro nicht mehr auf die Unterstützung durch andere Unternehmen angewiesen. Außerdem steht die Gründung eines Joint Ventures für Intermodal-Verkehre in Vorbereitung. Dafür würde man einen Partner aus der Republik Srpska an Bord holen.
Unabhängig davon sind die Weichen für die Realisierung des ersten Terminals für den intermodalen Verkehr in Bosnien Herzegowina gestellt. Unter der Regie der tatkräftigen Managerin Bijana Micic realisiert die Trade Trans Group bis Jahresende 2019 eine Anlage in Doboj. In der Stadt im Nordosten der Republik Srpska befindet sich der Kreuzungspunkt von wichtigen Bahnlinien im Ost-West- und Nord-Süd-Verkehr. Dieter Kaas kann sich „keinen besseren Standort für unser Projekt vorstellen“. Bestärkt wird er dabei von den weit fortgeschrittenen Verhandlungen mit angesehenen Transportlogistik-Gruppen und Linienreedereien mit Interesse an der Eröffnung von Bahnlinien von/nach Ulm, Herne, Koper, Rijeka und Ploce.
In der ersten Etappe entsteht in Doboj ein Bahnterminal mit fünf Gleisanlagen mit jeweils rund 700 Meter Länge und zwei Reachstackern für die Be- und Entladung der Trailer und Container. „Wir starten mit einer Jahreskapazität für rund 100.000 TEU“, erläutert Dieter Kaas im Gespräch mit der Zeitschrift LogEASTics. Für eine eventuell notwendige Erweiterungsmaßnahme stehen laut seinen Angaben Grundstücksreserven bereit. Das Investitionsvolumen für den ersten Bauabschnitt mitsamt den begleitenden Maßnahmen beträgt rund 5 Mio. Euro. Das ist für eine Region, in die sich nur wenige ausländische Kapitalgeber vorwagen, eine beträchtliche Summe. Aber wo die Dinge einfach sind, tummeln sich ohnedies schon die internationalen Bahn- und Logistikkonzerne.
Insofern rechnet sich Dieter Kaas mit dem Projekt in Doboj gute Chancen aus. Der Logistikunternehmer erinnert sich noch gut an die ersten Kommentare rund um den Railport Arad in Westrumänien. Auch dafür wurde er von den Mitbewerbern anfangs belächelt. Mittlerweile handelt es sich hierbei um einen Terminal für den intermodalen Verkehr mit 300.000 TEU Jahreskapazität, in dessen Angebot seit März eine wöchentliche Direktverbindung für die Maersk Line ab Hamburg aufscheint. CMA CGM startet in diesen Tagen einen Regelverkehr mit drei Rundläufen pro Woche auf der Koper-Achse, und bei Cosco Shipping Lines gibt es Überlegungen für die Eröffnung eines Bahnservice zwischen Curtici und Constanza. „Wenn es in dieser Dynamik weitergeht, benötigt der Railport Arad schon bald eine Erweiterung“, seufzt der sichtlich zufriedene Dieter Kaas.
Für die Trade Trade Group sind das Projekt in der Republik Srpska und der Bahnterminal in Westrumänien die jüngsten Kapitel in einer Erfolgsgeschichte, die vor exakt 30 Jahren begonnen hat. Lange Zeit sehr stark in der Bahnlogistik in Zentral- und Osteuropa engagiert, erstreckt sich die Präsenz des Unternehmens heute über 12 Länder. Allein in Polen disponieren rund 100 Mitarbeitende circa 1.500 Lkw-Ladungen in der Woche. Dem gegenüber steht das zuletzt stark forcierte intermodale Engagement, das für Dieter Kaas die Zukunft in der europäischen Bahnlogistik darstellt. Seine Firmengruppe beschäftigt aktuell 250 Dienstnehmer, die im Vorjahr einen Umsatz in Höhe von 120 Mio. Euro erwirtschaftet haben.
JOACHIM HORVATH