Rock’n Roll auf der Schiene, und das in ganz Europa

Bis nach Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien und Rumänien reichen die von der LTE-group in Eigentraktion durchgeführten Gütertransporte auf der Schiene. Gerade lotet das Management die Chancen im Baltikum und in der Region Westbalkan aus. Die bisherigen Erfahrungen in Ost- und Südosteuropa sind gut.

Rock’n Roll auf der Schiene,  und das in ganz Europa Bild: Die Ganzzüge der LTE-group operieren schwerpunktmäßig auf drei europäischen Korridoren.

SCHWECHAT. Ohne die EU-Osterweiterung gäbe es die LTE-group in der heutigen Form nicht. Davon ist Geschäftsführer Andreas Mandl überzeugt. Vielleicht wäre das auch der Fall, wenn sich die in den frühen 2000er Jahren gegründete grenzüberschreitende Marketingkooperation von privaten europäischen Güterbahnen mit dem Namen „European Bulls“ erwartungsgemäß entwickelt hätte. Doch das blieb ein Wunschdenken. Daher fassten die Verantwortlichen bei der aufstrebenden österreichischen Güterbahn den Entschluss, ein eigenes länderübergreifendes Netzwerk für Gütertransporte auf der Schiene aufzubauen. Zwar erbrachte man zu dieser Zeit bereits Traktionsleistungen in Eigenregie in Österreich, Tschechien und in der Slowakei. Aber das markierte nur den Anfang.

„Es war nicht so, dass wir mit unseren Plänen überall auf große Begeisterung gestoßen sind“, erinnert sich Andreas Mandl im Rückblick. Einigen osteuropäischen Partnerbahnen seien dadurch teilweise Geschäfte verloren gegangen. Und auch die Zusammenarbeit mit den Behörden habe sich anfangs aufgrund der stark aufgeblähten Bürokratie als kompliziert und zeitaufwendig erwiesen. Doch daran waren und sind die in jedem Land angestellten lokalen Managementteams gewöhnt. Der Trasseneinkauf funktionierte von Anfang an einwandfrei. Außerdem kann man sich an keinen Korruptionsvorfall erinnern.

Bei den ost- und südosteuropäischen Lokführern besaß die LTE-group zu dieser Zeit einen guten Ruf. Sie waren von ihren früheren Arbeitgebern nur alte Triebfahrzeuge gewohnt und konnten plötzlich auf modernes Equipment umsteigen. „Das Interesse für eine Anstellung bei uns war groß“, fasst Andreas Mandl seine damals gesammelten Eindrücke zusammen. Heute klagen die staatlichen und privaten Güterbahnen in ganz Europa über den Mangel an Lokführern. Insofern schätzt man sich bei der LTE-group glücklich, bereits ein weitreichendes Netzwerk für Gütertransporte auf der Schiene in Eigentraktion aufgebaut zu haben. Es erstreckt sich unter Berücksichtigung der als Adria Transport firmierenden Joint Venture-Gesellschaft mit dem Hafen Koper über neun Länder (Österreich, Deutschland, Niederlande, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Rumänien) und soll nach Möglichkeit noch in diesem Jahr eine Ausdehnung nach Kroatien erfahren.

Der Ausbau des Operationsgebietes ist beschlossene Sache und soll möglichst rasch erfolgen. Eine Stoßrichtung ist dabei der Balkan-Korridor bis nach Griechenland und in die Türkei, „wofür wir nächstes Jahr die Bahnlizenz in Bulgarien erwerben wollen“, kündigt Andreas Mandl im Gespräch mit der Österreichischen Verkehrszeitung an. Außerdem befindet sich eine Verbindung von Polen in die russische Enklave Kaliningrad im Aufbau. Hierbei würde RZD Logistics die China-Containerzüge der LTE-group an der polnisch-russischen Grenze übernehmen sowie ihren Weitertransport in den Fernen Osten durchführen. So entstünde eine Alternative zu den Bahnverkehren über die sehr stark frequentierte und zeitweise überlastete Grenzstelle in Brest-Malaszewicze.

Mit 76 Triebfahrzeugen – darunter knapp 30 eigene Einheiten – hat die LTE-group im Vorjahr mehr als 9.000 Züge traktioniert. Dabei bewegten die rund 400 Mitarbeitenden etwa 6 Mio. Tonnen Güter. Andreas Mandl: „Unsere Haupteinsatzgebiete liegen auf den Verbindungen von den Nordseehäfen bis zum Schwarzen Meer, auf der Baltisch-Adriatischen Achse und auf den Vor-/Nachlaufstrecken zur ‚Kontinentalen Seidenstraße‘ mit dem Schwerpunkt Malszewicze-Rotterdam.“ Dafür stehen Lokomotiven mit verschiedenen Länderpaketen bereit. Die vielfältigsten Maschinen besitzen Zulassungen für Einsätze in neun Staaten. Bei den Auftraggebern der privaten Güterbahn handelt es sich mehrheitlich um westeuropäische Unternehmen aus den Branchen Automotive, Agrargüter und Mineralölwirtschaft. Stark gewachsen ist zuletzt das Aufkommen bei den preislich hart umkämpften Containerzügen.

„Wir haben fast nur gute Erfahrungen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa gemacht“, lautet das Resümee von Andreas Mandl. Was er in dieser wirtschaftlich aufstrebenden Region für dringend verbesserungsbedürftig erachtet, ist die Schieneninfrastruktur. Lieber heute als morgen beseitig wissen will er den 20 Kilometer langen letzten Streckenabschnitt in den slowenischen Seehafen Koper, den er „als ein absolutes Nadelöhr“ bezeichnet. Aber auch in Polen und Rumänien liege vieles im Argen, was aufgrund der starken Nachfrage nach Bahntransporten in den beiden Ländern eine echte Herausforderung sei. Als weiteres Problem, „das uns die Arbeit erschwert“, nennt er die nach wie vor unterschiedlichen Stromsysteme in Tschechien und in der Slowakei.

Unbestritten ist für die Verantwortlichen der LTE-group der schwindende Einfluss der früheren osteuropäischen Staatsbahnen. Bis auf zwei bis drei Anbieter haben praktisch alle Gesellschaften ihre einst uneingeschränkte Rolle als Taktgeber im Segment „Rail Cargo“ eingebüßt. Ihre Rolle bekleiden jetzt einige aufstrebende private Güterbahnen. Aus dieser Gruppe versucht sich das Team unter der Führung von Andreas Mandl als einziger Ansprechpartner für Transporte in Eigentraktion in ganz Europa abzuheben. Konkret geschieht das mit Ganzzugverkehren über zwei bis fünf Grenzen. Je länger die Strecken sind, umso lieber ist es ihnen, auch wenn speziell im Segment Intermodal bereits die ersten Bahnoperateure Vorstöße in das Kerngeschäft der Güterbahnen unternehmen.

JOACHIM HORVATH

Werbung