Reger Nachschub für den „britischen Patienten“

Für die Semperit Technische Produkte GmbH gehört Großbritannien zu den Top-5-Absatzmärkten in Europa. Daher stellt Mag. Günter Gruber als Head of Group Logistics die Transportabläufe so gut es geht auf die geänderten Umstände durch den bevorstehenden Brexit ein. Das geschieht weiter unter Verzicht auf ein UK-Verteilzentrum.

Reger Nachschub für den  „britischen Patienten“ Bild: Bei Semperit Technische Produkte laufen die Vorbereitungen für eine neue Kostenkalkulation für den britischen Markt.

WIEN. Natürlich verfolgt Mag. Günter Gruber die Diskussionen rund um den bevorstehenden Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union aufmerksam. Schließlich besteht seine Hauptaufgabe in der Sicherstellung von gut funktionierenden Warenströmen innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette der Semperit Technische Produkte GmbH. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Wien und 15 Produktionsstätten in Europa und Asien erzielte mit der Herstellung von medizinischen und industriellen Produkten aus Kautschuk zuletzt 874,2 Mio. Euro Jahresumsatz. Seine weltweit ungefähr 6.900 Mitarbeitenden – davon 900 Beschäftigte in Österreich – entwickeln, produzieren und vertreiben Untersuchungs- sowie Operationshandschuhe, Hydraulik- und Industrieschläuche, Rolltreppen-Handläufe, Bauprofile, Seilbahnringe, Fördergurtsysteme, Gummiprofile und Elastomerplatten.

Damit verbunden sind strenge Anforderungen an das globale Supply Chain Management im Hinblick auf die Versorgung der Produktionsstätten mit Rohstoffen, Bauteilen und Komponenten sowie auf die termingenaue Belieferung der Kunden. Das soll in hoher Qualität und zu den denkbar attraktivsten Preiskonditionen erfolgen, lautet die Vorgabe der Konzernleitung. Dabei seien in den letzten Jahren im England-Verkehr selten Probleme aufgetreten, reflektiert Günter Gruber gegenüber der Österreichischen Verkehrszeitung. Er hält Frankreich gefühlsmäßig für den schwieriger zu bedienenden Markt. „Es gibt nur wenige Frachtführer und internationale Speditionen in Zentraleuropa, die sich auf den Verbindungen in die ‚Grande Nation‘ stark engagieren. Daher zahlt man pro Lkw-Kilometer um ein Drittel mehr als nach Deutschland“, lautet seine Einschätzung der Sachlage.

Jedoch auch im England-Verkehr schwant Günter Gruber Schlimmes, wenn er an eine Begebenheit im Jahr 2018 zurückdenkt. Sie war Auslöser einer Kettenreaktion, verursacht durch eine IT-Umstellung im Hafen Felix-stowe. Bei dem Systemwechsel sind Probleme und damit verbunden lange Wartezeiten bei den Importzollabfertigungen aufgetreten. Das nahmen viele Unternehmen zum Anlass für die Umleitung ihrer Warenströme in andere britische Häfen, die mit den plötzlich aufgetretenen Zusatzmengen überfordert waren. Laut Insidern ist die Sache bis heute nicht ganz verdaut, und das lässt weitere Probleme im Zusammenhang mit dem Brexit erwarten.

Semperit Technische Produkte liefert wöchentlich sechs bis acht Container mit Untersuchungshandschuhen aus den Werken in Thailand und Malaysia in das Vereinigte Königreich. Das sollte auch in Zukunft so bleiben. „Bei einem harten Brexit müssten wir uns auf einen erhöhten Zulauf bei den Zollämtern einstellen. Das könnte temporär auch zu zeitlichen Verzögerungen von ein bis zwei Wochen führen und veranlasst manche lokale Firmen zu einer erhöhten Vorratshaltung als Maßnahme zur Absicherung der Lieferfähigkeit“, räumt Günter Gruber ein. Als Folge davon läuft der Warenverkehr nach England in diesen Wochen auf Hochtouren, aber davon und von den zukünftigen Entwicklungen sind alle im Überseehandel tätigen Unternehmen gleichermaßen betroffen.

Kritischer beurteilt man bei Semperit Technische Produkte die Auswirkungen eines harten Brexit auf den europäischen Landverkehr. Man rechnet mit einer Erhöhung der Frachtraten, weil die Lkw-Züge aufgrund der neu entstehenden „Zollbarrieren“ dann länger unterwegs sind. „Der dadurch entstehende Zusatzaufwand muss dann auf jeden Fall in die Produktpreise mit einbezogen werden“, sagt Günter Gruber. Er kann sich vorstellen, dass es vor dem 29. März zu einem Engpass beim Lkw-Frachtraum kommt. Davon abgesehen hält er in weiterer Folge den Rückzug des einen oder anderen Frachtführers aus dem Fahrtgebiet UK für möglich, falls die Unternehmen mit den geänderten Rahmenbedingen nicht mehr zu Rande kommen.

Aufgrund der vielen offenen Fragen rund um den Brexit rechnet man bei Semperit Technische Produkte weder kurz- noch langfristig mit einer Aufstockung der Frachtkapazitäten von und nach England. „Das wird kein vernünftig handelnder Transportunternehmer tun“, reflektiert Günter Gruber. Sollte die englische Wirtschaftsleistung – wie von Experten einhellig prognostiziert – sinken und das auch noch mit einer Abwertung des Britischen Pfund im Verhältnis zum Euro, respektive mit einer Verteuerung der Importprodukte einhergehen, wird sich der Warenverkehr vom Europäischen Festland in das Vereinigte König abschwächen. Dann stünden die Frachtführer vor der Frage, was sie mit dem teuren Equipment tun sollen.

Vorläufig sieht man bei Semperit Technische Produkte keinerlei Anzeichen für gröbere Einbrüche im England-Geschäft gegeben. „Die eventuelle Einführung von Zollabfertigungen in den französischen und englischen Fährhäfen wird sicher ein Nadelöhr, das zeitliche Verzögerungen und Mehrkosten für alle Beteiligten in der Logistikkette verursacht“, befürchtet Günter Gruber. Die Folge davon wäre – wie bereits beschrieben – eine Verteuerung der England-Transporte. In Anbetracht dieser Tatsache zieht der Head of Group Logistics des weltweit tätigen Unternehmens die Einrichtung von Verteilerlagern nur in äußersten Notfällen in Erwägung, etwa wenn ein bestimmter Kunde eine sehr schnelle Belieferung ab dem Zeitpunkt der Bestellung benötigt. Ansonsten käme das viel zu teuer, weswegen man weiterhin an den Direktlieferungen ab den Ladestellen in Österreich, Deutschland und Tschechien festhält.

Semperit Technische Produkte verzeichnete im letzten Jahr Zuwächse im England-Verkehr. Das Unternehmen schickt wöchentlich drei Lkw-Züge mit Full Truck Loads und eine nicht näher bezifferte Menge an Stückgütern und Teilladungen in das Vereinigte Königreich auf die Reise. Der stärkste Logistikpartner (FTL, LTL und Sammelgut) ist Q-Logistics! Fallweise werden auch die Short Sea-Verbindungen ab Rotterdam, Antwerpen und Zeebrugge genutzt, vorausgesetzt die Schnittstellen zwischen den Bahn- und Schiffstransporten funktionieren einwandfrei.

JOACHIM HORVATH

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