Das ganze erste Halbjahr 2022 wurde von einem massiven Ungleichgewicht auf dem europäischen Transportmarkt geprägt. Doch im 3. Quartal beginnt sich die Situation trotz aller negativer Vorzeichen zu entspannen. Zwar lag das Verhältnis von angebotener Fracht zu angebotenem Laderaum noch immer über der Marke von 70:30, allerdings gleicht sich die Kurve an das Niveau von 2021 an.
„Die deutlichen Frachtüberhänge des 2. Quartals lassen sich im 3. Quartal nicht ausmachen“, sagt Gunnar Gburek, Head of Business Affairs bei Timocom. „Stattdessen stellte sich eine saisonal bedingte Abkühlung des Transportmarktes ein, wie wir sie in den Sommermonaten üblicherweise beobachten.“ Das Timocom Transportbarometer registrierte insgesamt 41,9 Mio. Frachteingaben im 3. Quartal 2022, was einem Plus von 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahrszeitraum entspricht.
Dieser Abschwung ist 2022 sogar besonders ausgeprägt. Europaweit wurden im 3. Quartal 28 Prozent weniger Ladungen in die Timocom Frachtenbörse eingestellt als im 2. Quartal, bei den innerdeutschen Verkehren betrug die Veränderung sogar -34 Prozent.
Gründe hierfür sind u.a. die Störung der internationalen Lieferketten als wirtschaftliche Spätfolge der Corona-Pandemie sowie der Krieg in der Ukraine. Als direkte Folge sind die Preise für Treibstoffe und Fahrzeuge massiv angestiegen. Durch die hohe Inflation haben die Nachfrage ab- und die Lagerbestände zugenommen. Der Einkaufsmanager-Index des Bundesverbands Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik rangierte im Juli erstmals ins Minus und die wirtschaftlichen Aussichten zeigen nach unten.
Die größte langfristige Herausforderung für den Transportmarkt bleibt der Fahrermangel. Allein in Deutschland werden in fünf Jahren 185.000 Berufskraftfahrer fehlen, schätzt der Weltverband der Straßentransportwirtschaft IRU. Das wäre eine Verdreifachung des bestehenden Engpasses, der jüngst erstmals wissenschaftlich quantifiziert wurde: 56.000 Fachkräfte fehlen dem deutschen Transportmarkt aktuell, ergab eine Studie zu Kapazitätsengpässen in der Logistik, an der Timocom beteiligt war.
Die Auswirkungen lassen sich unmittelbar an den Eingaben von Lkw-Kapazitäten in die Timocom Fracht- und Laderaumbörse ablesen: Europaweit verharrten die Laderaumangebote 2022 auf dem Niveau des Vorjahres.
„Schaut man allerdings genauer hin, zeigt sich Besorgniserregendes“, sagt Gunnar Gburek. „In Deutschland ist der Trend eindeutig: Es wird viel weniger Laderaum angeboten als noch in den Jahren zuvor.“ Im Schnitt wurden in den ersten neun Monaten des laufenden Jahres 24 Prozent weniger Kapazitäten in die Timocom Frachtenbörse eingestellt als im Vorjahr.
Und auch aus den Frachtführer-Ländern Polen, Ungarn und Rumänien kommen immer weniger Kapazitäten. Seit Jahresbeginn stellten Unternehmen aus diesen drei Ländern im Schnitt 8 Prozent weniger Laderaum auf den Timocom Marktplatz als im Vergleichszeitraum 2021. Ein Grund dafür ist neben den stark steigenden Kosten der Personalmangel.
„Wer denkt, es werden schon qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland nachkommen, der irrt sich“, sagt Gunnar Gburek und appelliert: „Die Marktteilnehmer müssen dringend reagieren und Ineffizienzen wie Leerfahrten und Wartezeiten an Be- und Entladestellen abbauen.“
Die Knappheit an Laderaum wird angesichts der bisherigen Zahlen und dem bevorstehenden Weihnachtsgeschäft noch zunehmen. Im kommenden Quartal rechnet Gunnar Gburek europaweit mit weiter knappen Kapazitäten und steigenden Transportkosten. Ausnahmen könnten Litauen und Polen sein: Hier steigt das Laderaumangebot beziehungsweise die Anzahl großer Lkw.