WIEN. Wenn sie moderne und umweltfreundliche Trucks steuern, stehen bulgarischen, rumänischen oder lettischen Lkw-Fahrern in der Europäischen Union alle Wege offen. Sie können jeden Ort anfahren, ohne lange Grenzaufenthalte befürchten zu müssen. Dadurch winkt den Kunden der Straßentransportunternehmen ein flexibler Service zu attraktiven Konditionen. Dem gegenüber stehen die Güterbahnen, deren Züge in einem Umfeld geprägt von unterschiedlichen Spurweiten, Signaltechniken, Baustellen auf transeuropäischen Achsen und zig Sprachen operieren. Jede andere Kon-stellation wäre besser angesichts der Prognosen, wonach der Güterverkehr in Europa bis 2030 um ein Drittel wächst.
Jetzt schon herrscht auf zahlreichen Hauptverkehrsmagistralen der helle Wahnsinn. Lkw-Züge stehen an neuralgischen Knotenpunkten regelmäßig im Stau. Vor allem die Langstreckentransporte auf der Straße scheinen für die Verlagerung auf den umweltfreundlichen Verkehrsträger Schiene prädestiniert. Und wenn der Klimawandel die Niederwasser-Situation auf dem Rhein-Main-Donau-Kanal weiter verschärft, könnten Ladungen vom Wasserweg auf die Schiene abwandern. Doch deren Potenzial ist begrenzt. „Wir werden mehr Kapazitäten schaffen und Fahrpläne mit dichteren Zugfolgen einführen müssen“, sagte Mag. (FH) Adreas Matthä, Generaldirektor der ÖBB Holding AG, dazu in einem Vortrag vor der Executive Academy der Wirtschaftsuniversität Wien.
Noch nie haben sich so viele Menschen Sorgen um die Umwelt gemacht. „Das wird Auswirkungen auf den Güterverkehr haben“, ist Andreas Matthä überzeugt. Daher sollte Österreich so schnell wie möglich den Wandel vom Lkw- zum Bahn-Transitland einleiten. Die Rail Cargo Group (RCG) ist dazu bereit und könnte das auf der Grundlage einer vernünftigen Kooperation der Verkehrsträger umsetzen. Bei den Verantwortlichen im ÖBB-Konzern herrscht Einigkeit darüber, dass die Güterbahnen auf Transportdistanzen bis 400 Kilometer dem Lkw-Verkehr das Feld überlassen müssen. Für sie liegt die Zukunft der Bahnlogistik auf den Langstrecken. Dafür hat die RCG eine Eigenproduktion in mittlerweile zwölf europäischen Ländern entwickelt.
Der Lkw verursache pro transportierter Tonne 21 Mal mehr CO2, verweist Adreas Matthä auf die Ergebnisse von Untersuchungen. Daran geknüpft ist sein an die Adresse der Politik gerichteter Appell nach Weichenstellungen in Richtung des Schienengüterverkehrs. Hilfreich wäre nach seinem Empfinden die Einführung einer einheitlichen Dienstsprache in ganz Europa, die Harmonisierung der Signalsysteme und die europaweite Koordination der Baustellen – zumindest auf den Hauptverkehrsachsen. Hinzu kommt die Forderung nach einer Senkung der Steuerbelastung auf Bahnstrom, welche nirgendwo höher ist wie bei uns. Die Anschlussbahnen müssten sowohl in Österreich als auch in Deutschland erhalten bleiben.
Selbst wenn das alles kommt, genießt der Lkw-Verkehr für Andreas Matthä Vorteile gegenüber der Bahnlogistik, die er besser heute als morgen beseitigt wissen will. So vermisst er weiterhin die Einführung der flächendeckenden Lkw-Maut und von europaweit koordinierten Maßnahmen zur Senkung des Lohndumpings im Straßengüterverkehr. Auch auf die Abschaffung des Dieselprivilegs warte man bis heute, beklagt der ÖBB-Chef. Als weiteren Punkt nennt er die Vereinfachung der Zulassungsverfahren für Güterbahnen auf neuen Märkten. Das würde den Unternehmen den dringend notwendigen Ausbau des Aktionsradius vereinfachen. Je schneller ihre Bahnverkehre zwei, drei oder noch mehr Ländergrenzen passieren können, umso besser stehen die Chancen im Wettbewerb mit den anderen Verkehrsträgern.
„Man braucht auf der Schiene ein Stück mehr Intellekt und Planungsaufwand, damit die Logistikketten funktionieren, spricht Andreas Matthä aus Erfahrung. Bei der Trassenvergabe sollte eine Gleichbehandlung zwischen den Güter- sowie Personenbahnen herrschen. Davon abgesehen müssten die „Carrier“ in Anbetracht „des nahezu verrückten Preisdrucks im Schienengüterverkehr“ Strategien für schnellere Angebotslegungen realisieren. Auf diesem Gebiet seien die Lkw-Transporteure den Güterbahnen dank der weniger komplexen Systematiken im grenzüberschreitenden Verkehr um einiges voraus. Doch je mehr internationale Produktionskonzepte in durchgängiger Eigentraktion auf den Markt kommen, umso einfacher wird die Aufgabe. Denn der Datenaustausch zwischen den einzelnen Bahngesellschaften ist für die ÖBB-Manager nach wie vor eine Katastrophe.
Jenen internationalen Containerreedereien, die sich im Seehafenhinterlandverkehr zusehends vorwärts integrieren, übermittelt Andreas Matthä die Botschaft, „dass wir zwar keine Schiffe steuern aber sehr gute Bahntransporte mit allen benötigten Zusatzdiensten darstellen können“. Deshalb sollten die Schifffahrtsunternehmen in dieser Disziplin besser auf die Spezialisten vertrauen. Generell hat der ÖBB-Chef die Befürchtung, dass einige Staatsbahnen in den nächsten Jahren wirtschaftliche Probleme bekommen könnten. Doch sollte der eine oder andere Anbieter von der Bildfläche verschwinden, werden andere Staats- oder vermeintliche private Güterbahnen die Lücken schließen.
JOACHIM HORVATH