WIEN. Bei praktisch allen maßgeblichen Paketdienstleistern in Österreich liegen die Wurzeln im B2B-Geschäft. Auch bei GLS Austria hat vor 26 Jahren alles mit der Beförderung von Sendungen zwischen zwei oder mehreren Unternehmen begonnen. Dieser Umstand gerät neuerdings generell ein wenig in Vergessenheit. Verantwortlich dafür ist der boomende E-Commerce, der einerseits dem stationären Handel Marktanteile wegschnappt und andererseits die Rolle der Großhändler in Frage stellt. Es gibt eine steigende Zahl von Industriebetrieben mit eigenen Webshop-Applikationen für die Bearbeitung von Geschäftsfällen mit Privatkunden. Bei solchen Szenarien erledigen die Paketdienste oder bei Großsendungen im Bereich der Braun- und Weißwaren auf die Endkunden-Belieferung spezialisierte Stückgutspeditionen die Versandabwicklung.
Dadurch hat sich in den letzten Jahren die Sendungsstruktur bei GLS Austria verändert. „Wir befördern mittlerweile zu rund 30 Prozent B2C-Pakete, Tendenz stark steigend“, sagt Geschäftsführer Dr. Axel Spörl. Im B2B-Segment verzeichnet die Branche laut seinen Angaben eine bestenfalls stabile bis ganz leicht sinkende Mengenentwicklung. Hier nutzen sowohl die Versender als auch die Warenempfänger jede Chance zur Optimierung der Betriebsabläufe und damit zur Senkung des „working capital“. Als Trends seien in diesem Zusammenhang die Konzentration von Lagerstandorten und der hochfrequente Abruf von Kleinsendungen erwähnt. Als Folge davon wächst die Bedeutung der internationalen Verkehre aus Verteilerzentren in Deutschland, BeNeLux, Tschechien und Polen.
Für die Paketdienste bedeutet das steigende physische und technologische Anforderungen. Selbst wenn die im Warenversand zurückzulegenden Distanzen größer werden, erwarten die Empfänger den schnellstmöglichen Transport. Dabei muss alles mit modernsten IT-Systemen unterlegt sein, sodass bei eventuell auftretenden Problemen die Information von allen Beteiligten in der Logistikkette gewährleistet ist. Außerdem führt bei den großen Firmen kein Weg mehr an der automatischen Rechnungslegung vorbei. Das alles zwingt die diversen Paketdienste zu stetigen Investitionen sowohl in die Netzwerk-Strukturen als auch in die Informations- und Kommunikationstechnologien.
GLS investiert gerade 9 Mio. Euro in den Bau eines neuen Depotbetriebes mit 100 Toren für Transporter und 10 Andockstationen für Lkw in Kalsdorf bei Graz. Gleichzeitig setzt das Unternehmen gezielte Schritte zur Steigerung der Qualität. Das ist ein schwieriges Unterfangen. Denn, so bemerkt Axel Spörl im Gespräch mit der Österreichischen Verkehrszeitung ausdrücklich: „Qualität kommt von sich quälen.“ Insofern besteht eine seiner Hauptaufgaben darin, die Mitarbeitenden von der Sinnhaftigkeit gewisser Maßnahmen zu überzeugen. Dabei geht es um die plausible Vermittlung von Sachverhalten, warum zum Beispiel fortlaufende Schulungen, Weiterbildungsprogramme und Innovationen wichtig sind und welche Prozesse für einen Paketdienst eine besondere Relevanz besitzen.
Das ist schon in Zeiten mit einem ausgewogenen Verhältnis auf dem Arbeitsmarkt eine große Herausforderung. Derzeit herrscht aber speziell bei den Transportunternehmen und deren Zustellfahrern ein akuter Personalengpass. „Dadurch steigen die Kosten auf der letzten Meile“, bestätigt Axel Spörl die Berichte seiner Branchenkollegen. Nur wer die Fahrer gut und fair bezahle, könne sie halten. Parallel dazu belasten die Paketdienste die verschärften Reglementierungen auf der gesetzlichen Seite. So werden etwa die Durchrechnungszeiträume für Überstunden neuerdings sehr eng ausgelegt, was bei der gemeinsamen Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben (GPLA) beträchtliche Nachzahlungen ergibt. Das belastet die Unternehmen vor allem zur Saisonspitze in der Vorweihnachtszeit.
GLS Austria bewegt etwa 75 Prozent aller Paketsendungen im nationalen Verkehr. Das internationale Geschäft wird von Deutschland, der Schweiz und den Ländern in Zentral- und Osteuropa dominiert. Das Europa-Netzwerk der GLS Group, deren 18.000 Mitarbeitende im Geschäftsjahr 2017/18 für über 270.000 Kunden rund 584 Mio. Pakete befördert haben, erstreckt sich derzeit über 41 Länder. Dabei wächst der Stellenwert der branchenspezifischen Produkte unter Einschluss von maßgeschneiderten Zustellkonzepten. Das kann so weit gehen, dass die internationalen Sendungen eines Unternehmens bereits um 14 Uhr am Nachmittag abgeholt werden, während die nationalen Pakete teilweise eine Spätabholung um 22 Uhr erfahren. „Das B2B-Geschäft ist in den letzten Jahren viel zeitkritischer geworden, aber wir haben uns gut darauf eingestellt“, lautet das Resümee von Axel Spörl.
JOACHIM HORVATH