WIEN. Bei einem Abendessen in Wien eröffnet Gerhard Eibinger Einblicke in das System Schiene. Seinen Schilderungen liegt die Tätigkeit als erster operativer Geschäftsführer und Betriebsleiter der LTE-group zugrunde. Aus dieser Zeit sind ihm zwei Dinge in Erinnerung geblieben. Punkt eins betrifft die Systemadäquanz der Bahnlogistik. Sie ist für ihn nur beim Transport von großen Mengen über lange Distanzen gegeben. Daran geknüpft ist seine These, dass auf die Anbieter von reinen Carrier-Leistungen schwere Zeiten zukommen. Das gilt ganz besonders für die Unternehmen mit Spezialisierung auf den Heimmarkt Österreich, der in seinen Augen zu klein für das Cargo Business auf der Schiene ist.
Bei dem zweiten Phänomen handelt es sich um die Beherrschung der sprungfixen Kosten. Demnach sind Güterbahnen gut beraten, jeden Einzelauftrag mit nur einer Lokomotive zu bedienen. Jedes weitere Triebfahrzeug verursacht Zusatzkosten, die den Güterverkehr auf der Schiene unrentabel machen. Gesetzt den Fall, ein Eisenbahnverkehrsunternehmen (EVU) liefert sich diesem Diktat aus. Was sollen seine Verantwortlichen dann bei einem Lokausfall tun? Kurzum: Man muss schon sehr viel Kopfarbeit leisten und sehr genau kalkulieren, um in der Bahnlogistik erfolgreich zu sein. Die Kunden erwarten sich Mehrwertkonzepte über mehrere Ländergrenzen hinweg. Doch dafür ist das System Schiene noch viel zu sehr einzelstaatlich reguliert, während für den Straßengüterverkehr ungleich mehr Freiheiten bestehen.
Für die Gründung der LTE-group waren zwei Entwicklungen maßgeblich, nämlich die in den späten 1990er Jahren eingeleitete Liberalisierung des Schienengüterverkehrs in Europa. Dadurch konnten die Privatbahnen aus ihrem bis dahin kleinen Kosmos in die weite Welt ausstrahlen. Davor endete ihr Aktionsradius spätestens an der Weiche 1 zum ÖBB-Streckennetz. Als mindestens ebenso wichtig bewertet Gerhard Eibinger die Umsetzung des 1. Eisenbahnpakets der Europäischen Union. Es schuf die Grundlage für den diskriminierungsfreien Zugang der neu auf den Plan getretenen EVUs zum öffentlichen Schienennetz.
„Bis dahin hatten wir für mehrere Interessenten Bahnlogistik-Konzepte ausgearbeitet und berechnet“, rekapituliert Gerhard Eibinger. Doch die Unternehmen befürchteten Benachteiligungen bei der Trassenvergabe. Erst das 1. Eisenbahnpaket der EU beseitigte die Zweifel von einigen Geschäftsführern. Dazu zählte der Österreich-Manager der Firma Holcim, die zur Jahrtausendwende regelmäßige Zementtransporte auf der Schiene von der Slowakei nach Ostösterreich durchführte. Außerdem wurde für die Aushubverkehre auf der Großbaustelle Lainzer Tunnel ein alternativer Anbieter zum ÖBB-Güterverkehr gesucht. Das nahmen der Baukonzern Porr und die Graz-Köflacher Bahn und Busbetriebgesellschaft mbH (GKB) zum Anlass für die Gründung des Gemeinschaftsunternehmens LTE.
Sein Wirken war nach der Bewältigung von einigen Anlaufschwierigkeiten zunächst durchaus erfolgreich. Jedoch zogen die Verantwortlichen auch alle Register dafür. So gelang ihnen das Kunststück, die Aufträge von Holcim und vom Generalunternehmer beim Projekt Lainzer Tunnel mit jeweils einem Triebfahrzeug abzudecken. Dabei handelte es sich um eine dieselhydraulische Lokomotive vom Typ MaK G 1206, die sowohl für Einsätze im Verschub als auch im Streckenverkehr geeignet war. Das bescherte den Kunden attraktive Preiskonditionen. Ihre Einkäufer zeigten sich darüber hocherfreut und präsentierten die Partnerschaft mit der LTE bei zahlreichen Vortragsveranstaltungen. Das sollte der jungen Güterbahn die Basis für neue Kundenbeziehungen schaffen.
Doch der Plan ging nicht auf. Gerhard Eibinger hatte einen Ansturm auf das Konzept der LTE-group erwartet. Stattdessen lief das Projekt Lainzer Tunnel planmäßig aus und ein Auftragsloch trat auf. Was immer er und seine Kollegen zur Akquise von österreichischen Neukunden taten, verlief im Sand. Niemand konnte oder wollte es sich mit dem Marktführer verscherzen. Da war für ihn klar, „dass unsere Zukunft nur im internationalen Schienengüterverkehr über mehrere Ländergrenzen hinweg und bei ausländischen Kunden liegen kann. Aus dieser Erkenntnis heraus entstand zunächst die Kooperationsplattform European Bulls, die später durch eigene Landesgesellschaften ersetzt wurde. Mittlerweile erwirtschaftet die LTE-group knapp zwei Drittel des Jahresumsatzes im Ausland.
JOACHIM HORVATH