GLEISDORF. Schöne und schnelle Autos sind eines ihrer Steckenpferde. Auch dem Reit- und Tennissport fühlt man sich verbunden. In jeder der genannten Disziplinen hat zumindest ein Mitglied der Familie Jerich mehr oder weniger beachtliche Erfolge erzielt. Aber zu einer Weltkarriere ohne finanzielle Sorgen hätte es schwer gereicht. Das zu erkennen und dementsprechend andere Schwerpunkte im Leben zu setzen, ist eine der wichtigsten persönlichen Charaktereigenschaften überhaupt. Schließlich eröffnen sich den Menschen heute sowohl beruflich als auch privat so viele andere Chancen. Man muss sie nur erkennen und entschlossen nutzen.
Diese Gabe besitzen Herbert Jerich sen. und sein gleichnamiger Sohn. Sie verstehen es wie nur wenige andere Privatunternehmer in der österreichischen Logistikbranche, Wachstumspotenziale für ihre Firmengruppe ausfindig zu machen und in konkrete Projekte umzusetzen. Wenn sich ein Großverlader aus Eigeninitiative heraus an sie wendet, wie das kürzlich der Fall war, ist das eine relativ einfache Sache, möchte man meinen. Doch bei dem konkreten Fall geht es um die Übernahme und Bewirtschaftung eines 14.000 m² großen Hochregallagers für den internationalen Warenversand mit insgesamt 60 Mitarbeitenden in Belgien. Ein Logistikdienstleister ist an diesem Projekt schon gescheitert. Daher suchte der Auftraggeber ziemlich kurzfristig nach einem alternativen Partner, der das Projekt mit Wirkung ab 1. Oktober 2019 in Angriff nimmt.
Dafür wirken die beiden Geschäftsführer von Jerich International ziemlich entspannt. Dabei pflegen Herbert Jerich sen. (72) und Herbert Jerich jun. (41) in geschäftlichen Belangen eine diskussionsfreudige Beziehung. Zwar halten sie im Ernstfall wie Pech und Schwefel zusammen. Da passt dann kein Blatt Papier zwischen die beiden. Jedoch fallen dazwischen immer wieder Meinungsunterschiede über die Vorgehensweisen bei bestimmten betrieblichen Prozessabläufen. Einig sind sich die beiden, was den Stellenwert moderner IT-Systematiken für den Unternehmenserfolg betrifft. Demnach muss man als Logistikdienstleister heute jede Möglichkeit zur Automatisierung der internen Prozesse nutzen und im externen Verhältnis zu den Kunden das größtmöglich Maß an Datentransparenz gewährleisten.
Aus Reibung entsteht Energie. Dadurch steht am Ende der gelegentlichen Auffassungsunterschiede zwischen Vater und Sohn Jerich oft eine neue Idee, mit der sich ihr Unternehmen einen Wettbewerbsvorsprung zu den in- und ausländischen Konkurrenten verschafft. Dazu kommt die stets aufs Neue bekundete Bereitschaft zur Unterstützung der Wachstumspläne der Kunden. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Auftraggeber in Österreich, Europa oder Nordamerika eine Lösung sucht. Man geht die Dinge einfach mit Mut, Entschlossenheit sowie einer raschen Reaktionsfähigkeit an und entwickelt kreative Lösungen, die den Kunden Mehrwerte und Kosteneinsparungen bringen.
Dazu kommt die unbändige Einsatzbereitschaft des gesamten Teams. Es ist nicht jedermanns Sache, am Montag nach Belgien zu fliegen, am folgenden Tag zahlreiche Meetings am Firmensitz in Gleisdorf zu absolvieren, um am Mittwoch die nächste Tagesreise nach Istanbul anzutreten, so wie das bei Herbert Jerich jun. in der letzten August-Woche der Fall war. Sein Vater erinnert sich an 14 Dienstreisen nach Nordamerika im Jahr, die in der Aufbauphase von Jerich USA notwendig waren. Doch daraus entstand bis heute eine Landesorganisation mit 200 Mitarbeitenden an elf Standorten. Die gesamte Unternehmensgruppe Jerich International beschäftigt aktuell 860 Personen und weist für das Jahr 2018 einen Umsatz in der Höhe von 235 Mio. Euro aus.
„Wir reden mit den Leuten, hören uns ihre Bedürfnisse an und entwickeln dann Alternativen zu den bestehenden Lösungen“, lautet die Devise bei Jerich International. Mit dieser Strategie schaffte Herbert Jerich sen. der Durchbruch in der Papierindustrie. Konkret geschah das vor etwa 35 Jahren mit einem neuen Transportkonzept für Exportsendungen der Papierfabrik Leykam (heute Sappi Gratkorn) nach Tunis. Bis dahin bediente ein internationaler Logistikkonzern diese Route mit Lkw-Hängerzügen, die ausnahmslos mit zwei Fahrern besetzt waren. Die Firma Jerich präsentierte ein Alternativkonzept mit Lkw-Sattelzügen, bei dem der Auflieger das Mittelmeer unbegleitet passierte.
Der Einsparungseffekt für den Kunden war beträchtlich, und das animierte Herbert Jerich sen. zu weiteren Gedankenspielen. Eines drehte sich um die Frage, wie man dem Verlader aus der Papierindustrie einen schnellen und flexiblen Lieferservice in Italien bieten könnte. Österreich war in den 1980er Jahren noch kein Mitglied in der Europäischen Union. Bei der damals hohen Streikbereitschaft der italienischen Zollbeamten konnte der Grenzübertritt der Lkw-Züge schon zwei bis drei Tage dauern. Gleichzeitig suchten die Papierverarbeiter und Druckereien in Norditalien Geschäftspartner mit der Befähigung zu einer Bestellabwicklung im Nachtsprung. Jerich International löste diese Aufgabenstellung mit der Etablierung eines Zollfreilagers im Hafen Marghera und feierte damit einen durchschlagenden Erfolg.
In den Jahren danach wurden ähnliche Systematiken für die Belieferung der Absatzmärkte der österreichischen Papierfabriken in Frankreich, Spanien, BeNeLux und England realisiert. Ihnen allen lag das Konzept der voll ausgelasteten Hauptlaufverkehre mitsamt einem schnellen Lieferservice in den Zielgebieten zugrunde. So entstand ein Netzwerk von Logistikzentren in Europa und in den Vereinigten Staaten mit zusammen rund 300.000 m² gedeckter Lagerfläche. „Wir bewegen weltweit knapp 3 Mio. Tonnen Papierprodukte im Jahr“, zitiert Herbert Jerich jun. aus seinen Aufzeichnungen.
Im Jahr 2000 entstand bei Sappi Europe der Bedarf nach dem Ausbau der Exporttätigkeit in Richtung USA. Bis dahin wurden Container mit maximal 19 Tonnen Zuladung über den Nordatlantik verschifft und in den Vereinigten Staaten auf Lkw umgeladen. Jerich International präsentierte dem Papierkonzern ein Alternativkonzept. Es gründete auf der Verschiffung von Containern mit Vollauslastung (28 Tonnen), die in New York in einem gemieteten Lager entladen wurden. Dann kamen wie bisher die Lkw-Transporte mit 19 Tonnen Nutzlast ins Spiel. Aus der Einsparung von 25 Prozent der Seefracht-Transportkosten entstand für alle Beteiligten ein wirtschaftlicher Vorteil, weshalb Sappi Europe den Dienstleister Jerich International an Bord holte.
Diesem Beispiel schloss sich zu einem späteren Zeitpunkt Sappi North America mit einem „Domestic Transport“-Auftrag im Wert von 100 Mio. Euro an. Der Start der Zusammenarbeit mit dem weltweit führenden Hersteller von Selbstklebe-Materialien wie Etiketten und Etiketten-Systemen für private und industrielle Anwendungen Avery Dennison in Europa datiert aus dem Jahr 2005 und mündete in der Auszeichnung zum „Supplier of the year 2018“, was Vater und Sohn Jerich mit großem Stolz erfüllt. Dazwischen liegt der Aufbau von 3PL-Services mit Cross Dock Hubs in ganz Europa und die Übernahme der Versandabteilung in drei Fabriken. Letztgenannte Funktion erfüllt Jerich International mittlerweile auch für Mayr-Melnhof Karton in Frohnleiten, genauer gesagt am Standort des Versandlagers in Peggau.
Avery Dennison benötigt für die Herstellung der Selbstklebe-Etiketten spezielle Leime. Ihre Anlieferung in den Werken erfolgte früher mit Tankfahrzeugen. Das müsse nicht sein, unterbreitete Herbert Jerich den Logistikverantwortlichen vor drei Jahren den Vorschlag für die Einführung von sogenannten „Wet/Dry-Silo-Trailer“-Services. Damit stellen die Lkw-Züge von Jerich International in der einen Richtung die Versorgung der Produktion mit Leimen sicher und übernehmen im Warenausgang den Transport der Fertigwaren. Dem Kunden entsteht daraus eine Einsparung der Transportkosten von rund 30 Prozent. Mit Stolz erfüllt Herbert Jerich jun. außerdem der Umstand, „dass wir von Amazon kürzlich als Partner für das flächendeckende Order Fulfillment im Bereich der Papierprodukte in den USA ausgewählt wurden“.
Parallel dazu entwickelt Jerich International laufend weiter neue Konzepte für die steirische Papierindustrie. So zuletzt geschehen mit der Eröffnung eines Lagerstandortes samt Container Freight Station in Triest. „Uns sind in den vergangenen Jahren mehrmals Klagen über Probleme bei Verschiffungen via Koper zu Ohren gekommen. Deshalb erschien uns die Schaffung einer Alternativlösung sinnvoll“, erklärt Herbert Jerich sen. im Gespräch mit der Österreichischen Verkehrszeitung die Motive für den Ausbau der Italien-Organisation. Laut seinen Berechnungen wird der steirische Logistikdienstleister im laufenden Jahr rund 200.000 Tonnen Papierprodukte über Triest verschiffen.
Auch in den Industriezweigen Automotive, Stahl, Holz und Konsumgüter ist Jerich International stark verankert. So werden zum Beispiel die steirischen Werke von Magna Heavy Stamping und Magna Presstec vom Logistikterminal in Pirching ausgehend täglich per Lkw und Bahntransport mit Rohmaterialien versorgt. Dafür steht ein Eigenfuhrpark bestehend aus 160 Lkw-Zügen und 40 Eigenwaggons bereit. In der Schienenlogistik organisiert der steirische Logistikdienstleister Transporte von Österreich und Deutschland bis nach Cuxhaven und Bukarest. Die Fahrzeugflotte erhält in Kürze ein Verjüngung und Modernisierung durch 40 neue Mercedes-Benz Actros. Mit der größten Freude erfüllt Herbert Jerich sen. aber der Umstand, in seinem Sohn Herbert Jerich jun. einen Nachfolger gefunden zu haben, „der das Familienunternehmen in meinem Sinne weiterführt!“
JOACHIM HORVATH