WIEN. Bereits vor der Ostöffnung gab es in Ungarn zwei Bahnspeditionen, nämlich die Masped Group und die Raabersped. Letztere eröffnete im Jahr 1991 ein Büro in Wien. Dessen Aufgabe bestand einerseits in der Organisation von Schienengüterverkehren auf den Verbindungen von oder nach den Staaten des früheren Comecon. Das sollte nach den in Westeuropa und Österreich gewohnten Standards geschehen. Umgekehrt benötigten auch die osteuropäischen Geschäftspartner Unterstützung bei der Durchführung von Bahntransporten auf den sogenannten „West-Relationen“. Mit der Leitung der österreichischen Raabersped-Niederlassung wurde Zoltan Potvorszki beauftragt. Er hatte vor seiner Übersiedlung nach Wien fünf Jahre in der Raabersped-Zentrale in Budapest gearbeitet und war der deutschen Sprache mächtig, was als Grundvoraussetzung für den Posten in Wien galt.
„Wir mussten von Anfang an sehr lösungsorientiert arbeiten, um im Wettbewerb mit den westlichen Bahnspeditionen bestehen zu können“, erinnert sich Zoltan Potvorszki an die Anfangszeit in Wien. Als Vorteil bewertet er den Umstand, dass schon zum Beginn der Raabersped-Tätigkeit in Österreich ein Bedarf für Bahntransporte auf Westniveau in Osteuropa gegeben war. Dazu war das Unternehmen offenbar in der Lage, und das bescherte ihm rasch die ersten Aufträge für Bahntransporte mit Äpfeln von Rumänien nach Österreich. Dem folgte die Vertiefung der Zusammenarbeit mit den Kunden aus der Holz-, Papier-, Chemie- und Konsumgüterindustrie und der Vorstoß in die Segmente Stahl und Weißwaren.
Im Jahr 2001 wurde die Raabersped zu 50 Prozent an die Speditionsholding AG der ÖBB verkauft. Ihr Team bestand damals aus rund 70 Mitarbeitenden in Budapest und Wien, der Jahresumsatz lag bei etwa 60 Mio. Euro. Damit folgte das Unternehmen einer Tradition, wie sie sich schon bei anderen Speditionen mit Wurzeln in Osteuropa vollzogen hatte. Der Großteil der Gesellschaften ist unmittelbar nach der „Ostöffnung“ entstanden, dies entweder aus der Eigeninitiative von Unternehmern, Mitarbeitern beziehungsweise Managern von ehemaligen staatlichen oder zum Teil staatlichen Großspeditionen oder aus der Abspaltung der Logistikabteilungen der früheren staatlichen Außenhandelsunternehmen heraus. Bei einigen Neugründungen entstand im Lauf der Zeit ein großer Kapitalbedarf. Andere Anbieter bauten rasch ein lukratives Geschäftsmodell auf und erweckten so das Interesse von westeuropäischen Konzernspeditionen mit dem Willen zur Expansion in Richtung Osten.
„Wer damals schnell reagiert hat und bereit war zu investieren, konnte als international tätiger Transportlogistiker in den heutigen CEE/SEE-Staaten rasch Fuß fassen“, bemerkt Zoltan Potvorszki im Rückblick. Dabei gerieten im Segment Bahnspedition der Danzas-Konzern, die heutige DB Schenker-Organisation und die bereits erwähnte Speditionsholding im ÖBB-Konzern zu Vorreitern. Auch die internationalen Linienreedereien eröffneten nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ rasch eigene Niederlassungen in Budapest, Prag, Bratislava und Warschau. Bis dahin mussten ihre Verantwortlichen die Kapazitäten auf den Containerschiffen über die Staatsspeditionen oder über ausländische Logistikdienstleister vermarkten. Diese Beschränkung fiel Ende der 1980er Jahre weg, sodass die Unternehmen die Urversender in Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen eigenständig bearbeiten konnten. Daraus erklärt sich die starke Präsenz der „Carrier“ in diesen Ländern und in den Balkan-Staaten.
Bei den Güterbahnen blieb die Monopolstellung der staatlichen Unternehmen zunächst unberührt. Das änderte sich erst im Zuge der EU-Osterweiterung im Jahr 2004. Die Folge davon war die Liberalisierung des Schienengüterverkehrs. Seither bauen Großkonzerne wie DB Cargo oder die Rail Cargo Group eigene Netzwerke in Mittel-, Ost- und Südosteuropa auf. Jedoch beschreiten auch einige frühere Monopolbahnen aus den postsozialistischen Reformstaaten den Weg der Internationalisierung. Hier gelten die tschechische CD Cargo und die polnische PKP Cargo mit der Befähigung zur Durchführung von grenzüberschreitenden Bahntransporten in Eigentraktion als Vorreiter. Nicht zu vergessen die zahlreichen neugegründeten privaten EVUs, die heute im Osten eher dem Kreis der privaten Bahnspeditionen zuzurechnen sind.
Alle in den vorigen Absätzen beschriebenen Szenarien lagen gewissermaßen auf der Hand. Zoltan Potvorszki erinnert sich aber auch an komische Situationen. Dazu zählen für den heutigen Head of Region South East Europe bei VTG Rail Logistics jene ungarischen Privatbahnen, die mit gemieteten Lokomotiven aus dem Bestand der „Staatsbahnen“ aus dem Nichts heraus eine beachtliche Größe erreicht haben. Bleiben als größtes Handicap für die Weiterentwicklung der Bahnlogistik die in Ost- und Südosteuropa nach wie vor zu geringen Investitionen in die Schieneninfrastruktur und in die Waggonflotten. Darin sehen einige Unternehmen aus West- -und Mitteleuropa, ganz besonders die Privatwagenvermieter große Wachstumschancen!
JOACHIM HORVATH