HALLEIN. So schnell kann das gehen. Im Jahr 2013 stellte das damals als Schweighofer Fiber GmbH firmierende Industrieunternehmen die Produktion von Papier komplett auf die Herstellung von Viskosezellstoff um. Heute ist das Werk mit seinen 254 Mitarbeitenden am Standort Hallein Markt- und Qualitätsführer für Textilzellstoff aus Nadelholz in China. In 2017 wurden 95,7 Prozent des Rekordabsatzes von 155.497 Tonnen in das Reich der Mitte exportiert. Und so wie es aussieht, können die Dienstleister aus dem Kreis der Bahnlogistik-Spezialisten, internationalen Speditionen und Containerreedereien bis auf Weiteres von einem deutlichen Anstieg der Transportmengen ausgehen.
Jedoch sollte man dazu ein paar Details wissen. Aus Schweighofer Fiber ist mittlerweile die AustroCel Hallein GmbH geworden. Die Schweighofer Gruppe verkaufte das Unternehmen im September 2017 an den britisch-amerikanischen Finanzinvestor TowerBrook Capital Partners. Dessen Private Equity-Experten gelten in Finanzkreisen als spezialisiert auf die Wertsteigerung von vielversprechenden kleinen und mittelgroßen Industriebetrieben. Damit verbunden ist die Bereitschaft zu beträchtlichen Investitionen. Allein am Werkstandort in Hallein fließen bis 2021 rund 60 Mio. Euro in die Erweiterung der Produktionskapazität auf rund 170.000 Tonnen Viskosezellstoff im Jahr und in Maßnahmen zur Diversifizierung des Sortenspektrums.
Viskosezellstoff selbst unterliegt einem sehr starken und nachhaltigen Wachstum. „Wir reden hier von ungefähr 8,6 Prozent Mehrbedarf jährlich“, erläutert AustroCel Hallein-Geschäftsführer Jörg Harbring in einer Pressemitteilung. Demnach resultiert die steigende Nachfrage einerseits aus dem weltweit steigenden Verbrauch von Textilfasern. Durch das Bevölkerungswachstum sowie die neuen Modetrends hat sich der Absatz seit dem Jahr 2000 mehr als verdoppelt. Andererseits stagniert der Anteil von Textilfasern aus dem ressourcenintensiven Anbau von Baumwollpflanzen. Viskose leistet einen ökologisch verträglicheren Beitrag zur Schließung dieser Lücke.
Das ist eine ausgesprochen günstige Perspektive für die Firma AustroCel. Bleibt als einzige Einschränkung des Wachstumskurses die Gefahr des Personalmangels. Obwohl das Unternehmen den Mitarbeiterstand seit 2010 um 25 Prozent erhöht hat, werden gezielt Facharbeiter, Lehrlinge und Planungsingenieure aus dem Bundesland Salzburg und aus Bayern gesucht. Gleichzeitig wird die Lehrlingsausbildung in den Berufskategorien Metalltechnik, Elektrotechnik, Labortechnik, Chemieverfahrenstechnik forciert. Zu diesem Zweck startete im Jahr 2018 unter dem Titel „Die Baumwollmacher“ eine neue Kampagne zur Gewinnung von Lehrlingen sowie gut ausgebildetem Fachpersonal.
Am Schreibtisch von Christian Neureiter laufen die Fäden der AustroCel-Betriebslogistik zusammen. Hier befindet sich die Steuerungseinheit für den täglichen Empfang von 170 Lkw-Ladungen und 25 Bahnwagen mit Indus-trie-Restholz, Chemikalien und diversen anderen Hilfsstoffen für die Produktion. Dem gegenüber stehen mindestens drei Ganzzüge pro Woche für den Transport der Viskosezellstoffprodukte in den slowenischen Seehafen Koper. Was es damit auf sich hat, dazu stehen die zuständigen Personen gerne Rede und Antwort. Jedoch liegt ihnen auch der sachdienliche Hinweis am Herzen, „dass wegen unserem Werk kein einziger Baum extra gefällt wird“. Stattdessen verarbeite man Durchforstungsholz und Sägenebenprodukte wie Hackgut oder Biomasse aus den zahlreichen Sägewerken in Österreich und im Wirtschaftsraum Bayern.
Aus zugekauften „Rohstoffen“ holt das Halleiner Industrieunternehmen das Maximum heraus. Hauptprodukt ist der hochwertige Zellstoff aus Nadelholz, der hauptsächlich in der Herstellung von Textilfasern Eingang findet. Weitere Anwendungsgebiete sind die Lebensmittel-, Farben- und Lackindustrie. Die Produktion als solche ist in einen Kreislauf eingebettet, an dessen Ende 110.618 MWh Fernwärme für 14.014 Haushalte und 91.289 MWh Grünstrom für 26.082 Abnehmer in den Umlandgemeinden stehen. Auch der Energiebedarf des Zellstoffwerkes ist damit zur Gänze abgedeckt. Davon abgesehen gibt es Pläne für die Erweiterung des Leistungsspektrums um eine Bioethanolanlage zur Herstellung von Biotreibstoff.
AustroCel Hallein erfüllt alle Eigenschaften eines Großverladers. „Wir sind ein Volumenbringer“, hebt Christian Neureiter als Leiter Betriebslogistik im Gespräch mit der Zeitschrift LogEASTics hervor. Jedoch hat das Unternehmen trotz der enormen Transportmengen von rund 1 Mio. Festmeter Industrie-Restholz und mehr als 155.000 Tonnen Viskosezellstoff nichts zu verschenken. Daher achten die Planer bei den Formatgrößen der Fertigprodukte auf die optimale Auslastung der Bahnwagen und Container für Verschiffungen nach Übersee. Ansonsten geriete die Versandabwicklung rasch zu einer kostspieligen Angelegenheit, und das wäre der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Halleiner Großbetriebes abträglich.
AustroCel empfängt jede Woche vier Ganzzüge mit je circa 3.000 srm Hackgut und mehrere Einzelwagen mit Chemikalien sowie anderen Zulieferprodukten auf der Schiene. Das entspricht einem Bahnanteil von rund 25 Prozent im Wareneingang. „Wir würden diesen Wert gerne steigern, aber das muss sich für uns auch lohnen“, sagt Christian Neureiter. Voraussetzung dafür wäre eine Kapazitätssteigerung auf der 5,2 Kilometer langen Anschlussbahn ab dem Bahnhof Hallein, für deren Betrieb die Salzburger Lokalbahn die Verantwortung trägt. Um sie noch leistungsfähiger zu machen, bedürfte es der Investition in eine automatische Entladestation.
Im Warenversand beträgt der Bahnanteil 95 Prozent. Hier entfällt der Löwenanteil auf die wöchentlich drei Ganzzüge in durchgängiger Traktion der SETG Salzburger EisenbahnTransportLogistik GmbH von Hallein in den Hafen Koper, wo die Spedition TPG Logistics alle Aufgaben im Zusammenhang mit der Viskosezellstoff-Lagerung und Stauung der Container übernimmt. „Jede 40‘ Box geht mit 26,4 Tonnen Zuladung auf die Reise, was einen Jahresbedarf von ungefähr 11.000 TEU ergibt“, rechnet Christian Neureiter vor. Dem Einkauf der Seefrachten ab Koper liegen Direktkontrakte mit den Containerreedereien zugrunde. Die Beschaffung der Lkw-Transportkapazitäten erfolgt über die Partner aus dem Kreis der internationalen Speditionen wie zum Beispiel DB Schenker und Quehenberger Logistics.
Bis vor ein paar Jahren wurden die Seefrachten über Bremerhaven geroutet. An der aktuellen Koper-Verbindung schätzen die Logistikverantwortlichen die im Vergleich zu Norddeutschland kürzere Streckenführung mitsamt den in einer ausreichenden Anzahl verfügbaren Leercontainern. Sollten trotzdem einmal Probleme auftreten, gibt es mehrere nahegelegene Alternativen in der nördlichen Adria. In der Zusammenarbeit mit den Güterbahnen wünscht sich Christian Neureiter von Rail Cargo Austria einen an die Flexibilität der privaten Anbieter von Bahnlogistikdiensten angepassten Service, sprich die Beseitigung von einigen noch mühsamen Abwicklungsverfahren. Die Bereitschaft der ÖBB dafür ist seines Erachtens nach vorhanden – fehlt nur noch die Umsetzung der ambitionierten Pläne.
JOACHIM HORVATH