WIEN. Egal wen man darauf anspricht, jeder Logistikexperte zieht seinen Hut vor der Entwicklung des griechischen Seehafens Piräus in den letzten Jahren. Dank der tatkräftigen Unterstützung durch die chinesischen Eigentümer ist der Standort zu einer Drehscheibe für die maritime Transportlogistik in Südosteuropa aufgestiegen. Das Containeraufkommen wächst kontinuierlich und erreichte 2018 die Marke von 4,9 Mio. TEU. Das war gleichbedeutend mit einer Zunahme von 19,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Diese Dynamik setzte sich in den ersten Monaten 2019 nahtlos fort. Nahezu täglich liegen Großcontainerschiffe der maßgeblichen internationalen Reedereien in Piräus vor Anker.
Besonders stark ist die Präsenz der Cosco Shipping Lines. Ihre Schiffe löschen hier Container aus Fernost und übernehmen Sendungen für Verschiffungen nach Asien. Dem zollt auch der Logistikbeauftragte im österreichischen Verkehrsministerium den gebotenen Respekt. Jedoch beurteilt DI Franz Schwammenhöfer – wie es seine Art ist – die Sache sehr nüchtern. Demnach profitiert Piräus von den geopolitischen Plänen der Regierung in Peking und weniger von marktspezifischen Kriterien. Soll heißen: Die Fracht folgt der Politik und nicht unbedingt den Marktgegebenheiten.
Für Franz Schwammenhöfer befindet sich die „Maritime Seidenstraße“ schon seit Jahren auf einem hohen Niveau. „Es gibt hier moderne Hochseehäfen und eine ausreichende Anzahl an standardisierten Transportgefäßen“, lautet sein Urteil. Dieses berücksichtigt auch den Seehafen in Piräus, als dessen natürliches Einzugsgebiet er, abgesehen von Griechenland, die Wirtschaftszentren in Nord-Mazedonien, Bulgarien und eventuell Albanien sieht. Jedoch gibt es nach seiner Einschätzung der Sachlage angenehmere Aufgaben, als asiatische Konsumgüter und Elektronikgeräte per Bahn durch die Länder in der Region Westbalkan nach Ungarn, Österreich, Tschechien oder in die Slowakei zu transportieren.
Zwar hegt der Logistikbeauftragte im BMVIT keinen Zweifel daran, dass China über die finanziellen Möglichkeiten verfügt, um die Schieneninfrastruktur von Piräus bis nach Budapest zu modernisieren und auf brauchbares Niveau zu heben. Parallel dazu müsste ein generelles Umdenken Platz greifen. Notwendig wäre, nach einem jahrelangen Schwerpunkt der Finanzierung des Ausbaues im Bereich der Infrastruktur die Unterstützung der Anschaffung von zeitgemäßem, rollenden Material im Güterverkehr. „Das ließe sich grundsätzlich alles machen“, ist Franz Schwammenhöfer überzeugt. Doch was bleibt, das sind die langen Distanzen von Griechenland nach Zentraleuropa. Daher erachten es viele Marktbeobachter in Österreich als sinnvoller, wenn die Containerschiffe den Zielmärkten sehr nahe kommen – als sich auf „Bahnabenteuer“ in der Region Westbalkan einzulassen.
Darüber dürften sich inzwischen auch die Logistikstrategen des chinesischen Staates im Klaren sein. Sie halten Ausschau nach Chancen für weitere Engagements, nach Möglichkeit in weiter nördlich gelegenen Seehäfen. Es gibt bestätigte und bildlich dokumentierte Besuche von chinesischen Delegationen in Kroatien und Absichtserklärungen für Gemeinschaftsinitiativen im Hafen Triest. Wahrscheinlich würden die asiatischen Investoren gleich in großem Stil loslegen, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt. Doch davor warnt Franz Schwammenhöfer mit dem gut gemeinten Rat, wonach sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union den Verkauf von Verkehrsassets sehr genau überlegen sollten.
So wie es aussieht, kann davon in der augenblicklichen Situation keine Rede sein. Wenn überhaupt, kommen für die Verantwortlichen in den Seehäfen der nördlichen Adria nur chinesische Minderheitsbeteiligungen an den Hafengesellschaften und Terminalbetrieben in Frage. Bei jeder anderen Vorgehensweise gerieten die nationalen Kompetenzen ins Hintertreffen gegenüber den Interessen der potenziellen neuen Mehrheitseigentümer. Bei einem derartigen Verkaufsprozess gingen sämtliche Gestaltungsmöglichkeiten für die Regierungen in Italien, Slowenien oder Kroatien verloren. Das sind Szenarien, die man sich derzeit weder in der Staatskanzlei in Rom noch an den Schalthebeln der Macht in Ljubljana und Zagreb ernsthaft vorstellen kann – und noch weniger in Österreich!
JOACHIM HORVATH