WIEN. Bisher konnte DI Peter Umundum der Verlockung widerstehen. Nur drei Schritte von seinem Schreibtisch im siebten Stock in der neuen Zentrale der Österreichischen Post AG entfernt haben die Architekten eine Terrasse angelegt, die einen wunderbaren Blick auf die Wiener Innenstadt eröffnet. Hier lässt sich bei einer Tasse Kaffee oder zu späterer Stunde bei einem Glas Wein wunderbar in Gedanken schwelgen. Auch für Gespräche in entspannter Atmosphäre wäre dieser Ort wunderbar geeignet. Doch dazu ist es bisher nur ein einziges Mal gekommen. Ansonsten nimmt die Arbeit den Vorstand mit der Zuständigkeit für Paket & Logistik ordentlich in Beschlag. Es gibt Termine am laufenden Band, dies sowohl im Haus als auch extern. So vergehen die Stunden wie im Flug. Und ehe er sich versieht, neigt sich der Tag dem Ende zu und bleibt keine Zeit für lockere Plaudereien.
Peter Umundum „pendelt“ beruflich im Spannungsfeld zwischen dem rückläufigen Briefgeschäft und der stetig wachsenden Paketlogistik. In der zuletzt genannten Sparte besetzte die Post 2018 mit 108 Mio. beförderten Paketen 47 Prozent des Gesamtmarktes in Österreich. Im Segment B2B, dessen Gesamtaufkommen im Vorjahr 95 Mio. Pakete ausgemacht hat, liegt das Unternehmen bei 32 Prozent Marktanteil, im Segment B2C mit 132 Mio. Paketen bei 47 Prozent. In den nächsten Jahren wird ein weiteres Wachstum im oberen einstelligen Prozentbereich erwartet, an dem das Unternehmen nach Möglichkeit stärker als die Mitbewerber partizipieren will.
Die Umsetzung dieses Vorhabens befindet sich auf einem guten Weg. Mehrere Großkunden bescheinigen der Österreichischen Post eine sehr professionelle Weiterentwicklung der Paketlogistik hin zu durchgängig digitalisierten Servicekonzepten mit einem hohen Maß der Kundenorientierung. Das Netz der rund um die Uhr nutzbaren Versandboxen und Empfangsstationen wächst stetig. Die Umleitung von Sendungen über mobile Endgeräte ist bis kurz vor der endgültigen Zustellung möglich. Für B2C-Sendungen kündigt sich durch die bevorstehende Übernahme des Privatkundengeschäfts von DHL Paket in Österreich eine weitere Serviceverbesserung an. In die Transaktion inbegriffen sind etwa 200 Mitarbeitende sowie die Paketlogistikzentren in Wien Liesing, Enns und Wundschuh bei Graz.
Auch im eigenen Netzwerk stehen die Weichen auf Wachstum. Im September und damit rechtzeitig vor dem Anlaufen des starken Weihnachtsgeschäfts, nimmt das neue Paketlogistikzentrum in Hagenbrunn bei Wien den Echtbetrieb auf. Der Neubau startet mit einer Sortierleistung von 13.500 Paketen in der Stunde. Ihm folgt ein knappes Jahr später das Großprojekt in Kalsdorf bei Graz, wo im März der Bau eines Paketlogistikzentrums auf 167.500 m² Gesamtfläche in Angriff genommen wurde. Parallel dazu modernisiert die Österreichische Post laufend ihren Fuhrpark und räumt dabei der Elektromobilität sowie anderen alternativen Antriebsformen einen hohen Stellenwert ein.
Jedoch benötigt das Unternehmen für den Betrieb der Fahrzeugflotte auch gut geschultes Personal für die Zustellung. Schon seit längerer Zeit beklagt die Transportwirtschaft das Fehlen von Fachkräften zur Bewältigung der Einsätze auf der „letzten Meile“. Das bilde einen krassen Widerspruch zu der wachsenden Produktvielfalt und zu den steigenden Anforderungen an das Personal, ausgelöst durch den verstärkten Einsatz von elektronischen Geräten, schließt sich Peter Umundum dieser Meinung an. Gemeinsam mit seinem Team nahm er das zum Anlass für die Entwicklung eines neuen Berufsbildes, „das wir im Zeitraum von rund einem Jahr mit tatkräftiger Unterstützung durch das Wirtschaftsministerium und die Sozialpartner realisieren konnten“, wie er mit Stolz bemerkt.
Entstanden ist daraus der Lehrberuf des Nah- und Distributionslogistikers, dessen erster Ausbildungsturnus im September 2019 startet. In die dreijährige duale Ausbildung fließen auch die Module von anderen Berufsgruppen ein. Peter Umundum hält sie für junge Menschen mit Flexibilität für geeignet. Auf die Bewerber kommt ein Arbeitsbeginn in den frühen Morgenstunden und mittelfristig auch Tätigkeiten in der Zustellung an Samstagen zu. Wer dazu bereit ist und keine Kundenkontakte scheut, dem könnte der Beruf des Nah- und Distributionslogistikers ein interessantes Betätigungsfeld eröffnen. Mit dem neuen Lehrberuf sollen die jungen Talente von früh weg eine umfangreiche Ausbildung erhalten, im Unternehmen gehalten und zukünftig auch zu Führungskräften ausgebildet werden. Die Österreichische Post geht hier im September mit der Schaffung von circa 100 neuen Lehrstellen und mit der Hoffnung auf baldige Nachahmer mit gutem Beispiel voran.
JOACHIM HORVATH