WIEN. In der globalen Logistikindustrie gab es in den letzten Jahren nur ein Thema. Gemeint ist die laufenden Optimierung der Prozesse und Abläufe. Jeder Teilnehmer in der Supply Chain trachtete nach der Schaffung von hocheffizienten Transportlösungen. Dabei sollte sich das eingesetzte Equipment nach Möglichkeit die ganze Zeit im Zustand der Vollauslastung bewegen. Man kann sagen, das hat ganz gut funktioniert. Aber jetzt ist vieles anders. Das Coronavirus hat die Logistikketten destabilisiert. Indem die chinesischen Fabriken wochenlang gar nicht oder nur in eingeschränktem Umfang produzierten und zudem die Lkw-Transporte in die Seehäfen zum Erliegen gekommen waren, wurde eine Kettenreaktion ausgelöst.
Zunächst reduzierten die Containerreedereien die Fahrpläne ihrer Liniendienste von Ostasien nach Europa, Nord-/Südamerika und im Fahrtgebiet Intra Asia. Dem folgten später die Operateure im Seehafenhinterlandverkehr auf der Schiene. Dadurch entsteht in Zentraleuropa gerade ein Engpass bei den Leercontainern für die Warenexporte. Das schürt bei zahlreichen Unternehmen die Angst, ihnen könnte demnächst das Equipment ausgehen. Wer dafür eine Lösung hat oder das ausblendet, der benötigt in weiterer Folge Stellplätze auf den Zugsystemen in die Seehäfen sowie anschließend auf den Containerschiffen. Jedoch sind in den letzten Wochen die Abläufe in der globalen Seefrachtlogistik in einem schleichenden Prozess aus den Fugen geraten. Die Rückkehr zur Normalität ist schwer absehbar. Sie hängt vom Zeitraum ab, den Europa für die Eindämmung des Coronavirus benötigt.
Die Österreicher müssten jetzt zusammenhalten. Dann werde das Land auch diese Krise bewältigen, appellierte Bundespräsident Dr. Alexander Van der Bellen am 13. März in einer Fernsehansprache. Damit spricht er ein Thema an, das auch für die Wirtschaft gilt. Es handelt von der Kraft und Stabilität der langjährigen Partnerschaften. Da kann es bei einem Akteur – wie im privaten Leben – schon einmal zu Problemen kommen. Wenn ihm die andere Seite in einer solchen Situation zur Seite steht, wird ihr das in den meisten Fällen später zum Vorteil gereichen. Hingegen erzeugt die rasche Abkehr zu einem vermeintlich besseren Partner den Unmut des davon betroffenen Unternehmens.
So in etwa ist das auch in der Containerschifffahrt. Natürlich steht es jeder Seefrachtspedition und jedem Großverlader zu, für jedes Fahrtgebiet den jeweils preisgünstigsten Carrier auszuwählen, das eventuell auch noch im Rahmen von quartalsweisen Ausschreibungen. Doch so entstehen selten stabile Geschäftsbeziehungen. Das kann sich rächen, und dieses Szenario droht jetzt. Dabei dürfte sowohl bei den Leercontainern als auch bei den Slots auf den Schiffen noch gar nicht die Spitze des Eisbergs erreicht sein. Fachleute sagen die größten Engpässe für die Kalenderwochen 13-16 voraus. Und selbst wenn sich Situation in der Containerlogistik rasch wieder entspannt, dürfte die Linienschifffahrt frühestens Ende Mai wieder in den „Normalmodus“ schwenken.
Bis dahin sollten die Speditionen und ihre Kunden vorausschauend agieren. „Alles was planbar ist, lässt sich auch in Zukunft in unseren Systemen unterbringen“, erklärt Daniel Hiesberger, Geschäftsführer der Hapag-Lloyd Austria GmbH. Der gelernte Spediteur berichtet im Gespräch mit der Zeitschrift LogEASTics von voll ausgebuchten Großcontainerschiffen auf den Verbindungen von Hamburg in die Regionen Mittlerer Osten und Ferner Osten. Er könne derzeit erst ab Ende April gesicherte Slots anbieten. Grundsätzlich würden die über das Bestandsgeschäft hinausgehenden Anfragen jetzt abhängig vom Mengenbedarf und von der Akzeptanz der gestiegenen Frachtraten bearbeitet.
„Bei uns fragen derzeit zahlreiche Logistikdienstleister und Großverlader um Containerverschiffungen nach Asien an, mit denen wir bisher nicht zusammengearbeitet haben“, erzählt Daniel Hiesberger. Er wertet das als Indiz, dass auch bei den anderen Linienreedereien die Schiffskapazitäten voll ausgelastet sind. Er wägt diese Anfragen sorgfältig ab. Denn genauso schnell wie diese Unternehmen auftauchen, können sie nach Einkehr von normalen Verhältnissen wieder von den Angeboten der Hapag-Lloyd Abstand nehmen. Mit den Bestandskunden ist das für gewöhnlich anders. Ihnen gegenüber verpflichtet sich die traditionsreiche Hamburger Reederei mit aktuell 231 Schiffen mit 1,6 Mio. TEU Kapazität und 2,6 Mio. TEU Containerbestand zur Einhaltung der abgegebenen Transportzusagen.
Dies gilt auch für die Industriekunden, die mit großen Transportmengen in vielen Fahrtgebieten die Grundauslastung der Containerschiffe sicherstellen. Hier ist die Versorgung mit einer ausreichenden Anzahl von Leercontainern besonders wichtig. Diese positioniert Hapag-Lloyd seit einiger Zeit aus zentraleuropäischen Nachbarländern und nicht mehr aus den Nordseehäfen. Grundsätzlich müsse sich kein Bestandskunde mit gut eingespielten Prozessabläufen Sorgen um die korrekte Abwicklung der Containerexporte machen. Allerdings sollten die Exporteure weniger dringende Ladungen zu einem späteren Zeitpunkt verschiffen.
Hapag-Lloyd beförderte im Vorjahr rund 11,9 Mio. TEU und zählt damit zu den weltweit führenden Containerreedereien. 121 Liniendienste bedienen 600 Häfen auf allen Kontinenten. Das Wiener Büro hat 2019 eine umfassende Reorganisation durchlaufen. Unter anderem ist der Kundenservice zentral in der norddeutschen Unternehmenszentrale in Hamburg zusammengefasst worden. Das österreichische Team wird in Kürze in ein neues Büro im 1. Wiener Gemeindebezirk umsiedeln.
JOACHIM HORVATH