WALLERN. Unlängst meldete sich ein aufgeregter Lkw-Fahrer bei Markus Kilian. Er sei pünktlich am Lieferort in England eingetroffen und warte schon seit vier Stunden auf die Entladung seines Truck. In der Logistikanlage herrsche ein reger interner Staplerverkehr, jedoch fühle sich niemand für ihn zuständig, lautete seine Botschaft aus dem Vereinigten Königreich. Als der Eigentümer und Geschäftsführer der K-Logistics GmbH daraufhin mit dem Lagerleiter der betreffenden Firma telefonisch Kontakt aufnahm, erhielt er eine selbst für ihn erstaunliche Information. Demnach dürfen die Staplerfahrer in diesem Unternehmen nur Paletten mit direktem Bodenkontakt bewegen, weil ihnen die Lizenz für die Be- und Entladung vom Boden auf Lkw und umgekehrt fehlt.
„England-Verkehre sind heute für jeden Lkw-Fahrer und Disponenten in der Speditionsbranche eine Strafexpedition“, schüttelt Markus Kilian den Kopf. Er stelle sich manchmal die Frage, warum sich das überhaupt noch jemand antue. Der mit den Transportabwicklungen verbundene Aufwand sei für alle beteiligten Personen so groß, dass sogar manchen Spezialisten bereits die Freude daran vergehe. Wenn das so bleibe oder hervorgerufen durch den Brexit noch verschärfe, werde sich ein „Trucker“ nach dem anderen von dieser Transportrelation zurückziehen, befürchtet der Eigentümer und Geschäftsführer der K-Logistics GmbH. Das Unternehmen mit Sitz in der oberösterreichischen Marktgemeinde Wallern an der Trattnach organisiert seit der Gründung im Jahr 2004 Lkw-Transporte von Ladestellen in Zentraleuropa zu Zielen im Vereinigten Königreich.
Man spediere allwöchentlich zwischen 120 und 150 Lkw-Ladungen mit Stückgütern, Stahlcoils, Parkettböden, Papierprodukten, Bau- / Landmaschinen, Chemicals und Konsumgütern von Ladestellen in Österreich, Süddeutschland, der Schweiz und Tschechien zu Zielen im Vereinigten Königreich, erläutert Markus Kilian im Gespräch mit der Österreichischen Verkehrszeitung. Dabei macht der Disposition insbesondere die Koordination der „Booking Slots“ zu schaffen. Es gibt kaum noch einen Lieferort in England ohne ein straffes und sehr streng gemanagtes Zeitfenstersystem in der Warenannahme. Wenn ein Lkw-Zug zu früh am Ziel eintrifft und dort überhaupt nichts los ist, muss er trotzdem warten. Wer einen „Booking Slot“ egal aus welchem Grund versäumt, dem drohen in schlimmen Fällen bis zu einwöchige Verzögerungen. Dann muss die Ware vorübergehend in ein Speditionslager, und das kostet Geld.
Es gibt in England für alles und jedes ein „Manual“, an das sich jeder Beschäftigte eisern hält. „Ohne Anweisungen geht da gar nichts“, weiß Markus Kilian aus Erfahrung. Aber das ist nur ein Detail, das vielen internationalen Logistikdienstleistern Sorgen bereitet. Weitere kritische Punkte sind die Unpaarigkeit der Verkehre und die hohe Kriminalität. Alles was nicht angenagelt oder angeschweißt ist, wird gestohlen. Sicherheit für Lkw-Züge gibt es nur an den eingezäunten, videoüberwachten und beleuchteten Parkplätzen. Überall anders lauern permanent Gefahren für die Ladungen. Die Lkw-Fahrer kommen praktisch nie zur Ruhe, und das fängt schon 200 bis 300 Kilometer vor dem französischen Fährhafen Calais an.
Von diesem Streckenabschnitt an sei bei England-Transporten höchste Vorsicht geboten, bestätigt Markus Kilian die Aussagen seiner Branchenkollegen. Das liegt seines Erachtens nach auch in der weiterhin angespannten Situation bei den Flüchtlingen begründet. Zwar stellt sich der Status quo nicht mehr so extrem dar wie vor zwei bis drei Jahren. Jedoch gibt es noch immer viele Menschen, die jede Chance für die illegale Einreise in das Vereinigte Königreich nutzen. Die Folge davon sind zerschnittene Planen, Beulen in den Karossieren der Lkw-Züge und kaputte oder gestohlene Waren. Finden die Behörden auf einem Truck einen „blinden Passagier“, wird das Transportunternehmen mit einer Strafzahlung in Höhe von 2.000 GBP oder umgerechnet 2.250 Euro pro „mitgereister“ Person belangt. Da kommen bei drei bis vier Flüchtlingen rasch immense Beträge zusammen.
Ein Ausweichen auf die Fährdienste von Zeebrugge sowie Rotterdam nach Newcastle oder Hull bringt den Frächtern und Spediteuren bessere Rahmenbedingungen. Das ist aber nur dann möglich, wenn die Reise der Transporte nach Birmingham, Manchester oder Leeds führt. Allerdings verkehren die Fährdienste auf diesen beiden Routen viel seltener als auf der „Rennstrecke“ von Calais nach Dover, wo täglich zwischen 40 und 50 Abfahrten auf dem Programm stehen. „Noch dazu sind ihre Liniendienste fast restlos ausgebucht beziehungsweise von längeren Laufzeiten gekennzeichnet, was die Organisation und physische Abwicklung der Transporte erschwert“, so Markus Kilian.
Trotz all dieser Widrigkeiten gibt es einen stetigen Bedarf an Transportlösungen von Zentral-/Osteuropa nach England. K-Logistics ist hier im automotiven Sektor stark engagiert. Dabei geht es um die Versorgung der englischen Werke namhafter Pkw-Produzenten mit Bauteilen und Komponenten von verschiedenen Zulieferbetrieben. Das macht rund zwei Drittel des Geschäftsvolumens aus, „wobei wir hier im Auftrag eines internationalen Logistikkonzerns operieren“, wie Markus Kilian einräumt. Konkret geschieht das in Form von Direktverkehren, Milkruns oder Transporten mit einer Konsolidierung der Sendungen am Firmensitz mit 12.000m² Büro, Lager und Freiflächen in Wallern an der Trattnach im Bezirk Grieskirchen. Disponiert werden rund 100 Sattelzüge mit ADR-Ausrüstung in Ausführungen als Tautliner, Megatrailer, Coilmulden oder Rungenfahrzeuge.
Markus Kilian betrachtet England als ein Liefergebiet mit einer besonders hohen Erwartungshaltung seitens der Empfänger. Seinen Niederschlag findet das in den jährlichen Audits, bei denen jede Ungenauigkeit zum Vorschein kommt. Schneidet ein Anbieter dabei besonders schlecht ab, droht ihm die Ablöse durch einen Mitbewerber. Die Gefahr ein solches Schicksal zu erleiden, war schon einmal größer. Momentan gibt es im England-Verkehr Arbeit ohne Ende. Viele europäische Unternehmen füllen ihre Lagerstandorte im Vereinigten Königreich auf, um im Fall eines harten Brexit vor anfänglichen Lieferschwierigkeiten verschont zu sein. Dementsprechend groß ist das Interesse an freien Transportkapazitäten.
Für Markus Kilian ist der Brexit das Ergebnis der Taten von verantwortungslosen und machthungrigen Politikern. Der Unternehmer wünscht sich zumindest einen „soft Brexit“ oder besser noch einen Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union. Für den schlimmsten Fall konnte er bisher noch keine zolltechnischen Vorbereitungen treffen, „weil zum jetzigen Zeitpunkt einfach noch niemand weiß was im Endeffekt auf die verladende Wirtschaft und auf die Logistikbranche zukommt“. Es steht sogar zu befürchten, dass der Brexit dem einen oder anderen Frächter und Spediteur die Existenz kostet. Bei K-Logistics deutet derzeit nichts darauf hin. Das 14-köpfige Team in der Disposition und Administration hat alle Hände voll zu tun, um die Produkte der Kunden in hoher Qualität nach England zu spedieren.
JOACHIM HORVATH