WIEN. Uwe Glaser erinnert sich noch gut an das erste Gespräch mit dem Logistikleiter eines renommierten US-Konzerns. Der Spezialist für Supply Chain Management war eine smarte Person. Er hatte große Pläne in den Ländern in Ost- und Südosteuropa, wo sein Arbeitgeber in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre erste Handelsfirmen sowie Industriebetriebe beliefern sollte. Die Sache hatte nur einen Haken, nämlich die tiefe Kluft zwischen den Vorstellungen des US-Unternehmens und den damaligen Gegebenheiten in den postsozialistischen Reformstaaten. Aber das bekamen viele internationale High Tech-Konzerne sehr schnell und drastisch zu spüren.
Für den hochmotivierten Gesprächspartner des damaligen Geschäftsführers der Unternehmensgruppe Cargoplan und heutigen Eigentümers der Cargomind Group drehte sich zunächst alles um einen schnellen Lieferservice. Seine Pläne sahen die Spedition von Mikroprozessoren nach Polen, Tschechien, Ungarn und Rumänien vor. Dabei sollte jede bis um 12 Uhr am Flughafen des Ziellandes eintreffende Sendung noch taggleich zur Auslieferung gelangen. Einen derartigen Service konnte das Team rund um Uwe Glaser damals allein schon aufgrund von Zollthematiken nicht anbieten. Deshalb wählte der US-Konzern andere Logistikdienstleister als Partner aus. Das erwies sich als schwerer Fehler. Der Warenschwund war enorm. Es entstand eine enorme Diebstahlgefahr aufgrund der hohen Warenwerte.
Es spricht für die Vernunft des SCM-Spezialisten, dass er seine falsche Einschätzung der Sachlage eingesehen hat. So kam es zu einer zweiten ausführlichen Verhandlungsrunde mit dem früheren Unternehmen von Uwe Glaser. Dabei entwickelten die Beteiligten ein Konzept unter Einschaltung von Klein-Lkw ab Wien. Es konnte jedesmal festgestellt werden, wer für die Ware verantwortlich war – der Prozess wurde nach den Richtlinien der TAPA aufgesetzt. Man erhielt nach mehreren Testreihen den Zuschlag und erfüllte von da an alle Erwartungen. „Es gab so gut wie keine Fehlleitungen oder Verluste“, lässt Uwe Glaser den Geschäftsfall Revue passieren. Zwar seien die Logistikkosten des Kunden gestiegen. Jedoch habe das die hohe Lieferqualität mehr als wettgemacht.
Uwe Glaser will nicht zu sehr in der Vergangenheit schwelgen. Doch sein beruflicher Werdegang ist seit Jahrzehnten von den Entwicklungen in den Ländern in Ost- und Südosteuropa geprägt. Bereits in den 1980er Jahren organisierte seine damalige Spedition den Export von Textilien und Schuhen von Polen, Ungarn und Rumänien nach Nordamerika. Danach boten sich durch die „Ostöffnung“ neue Chancen – in der umgekehrten Richtung. Als Reaktion darauf übersiedelte der Wiener Unternehmer für mehrere Jahre nach New York, um von dort aus Warentransporte von Nordamerika in die Reformstaaten zu organisieren. Daraus entwickelte sich ein erfolgreiches Geschäftsmodell, getragen von bis zu 600 Mitarbeitenden in 35 Büros in 12 Ländern.
Es gab mehrere Gründe, dass es dazu gekommen ist. Einerseits hielt sich der Wettbewerbsdruck nach der „Ostöffnung“ zunächst in Grenzen. Viele multinationalen Logistikkonzerne wollten oder konnten bei der möglichen Ausweitung ihrer Netzwerke nach Ost- und Südosteuropa nichts überstürzen. Dabei lagen dort die „Business Opportunities“ auf der Straße, wie es Uwe Glaser formuliert. Noch dazu hielt die verladende Wirtschaft Ausschau nach Alternativen zu den Lösungen der früheren Staatsspeditionen. Das eröffnete den unabhängigen, flexiblen, erfahrenen und kompetenten kleineren Logistikern tolle Entwicklungs- und Wachstumsperspektiven.
Uwe Glaser erkannte das frühzeitig und entwickelte daraus eine Logistikgruppe, die im Jahr 2002 vom Konzern Deutsche Post DHL erworben wurde. Dieser Akquisition ging eine Zeit voraus, in welcher der Spediteur in Ost-/Südosteuropa viele Überraschungen erlebt hatte. Dazu gehörten in den ersten Jahren nach der „Wende“ beispielsweise die fehlenden Luftfrachtbüros mit Telefonanschlüssen auf den Flughäfen. Ohne einer derartigen Grundausstattung waren den internationalen Speditionen damals die Hände gebunden. EDV-Systeme gab es entweder nicht – oder sie waren total veraltet. Der Arbeitsmarkt bot zwar gut ausgebildete Menschen – aber es fehlten die gelernten Spediteure. „Das war schon eine missliche Situation für die Speditionen“, beschreibt Uwe Glaser seine damaligen Eindrücke.
Mittlerweile beklagen die Logistikunternehmen schon wieder den herausfordernden Arbeitsmarkt. Ansonsten hat sich in Ost- und Südosteuropa vieles gebessert. „Dazu zählt auch das Angebot an modernen und leistungsfähigen Autobahnen, die in vielen Fällen mit tatkräftiger finanzieller Unterstützung durch die Europäische Union entstanden sind. Trotzdem fühlen sich viele Menschen in der Region noch immer als Europäer zweiter Klasse“, wundert sich Uwe Glaser. Der Unternehmer ist der Fokussierung auf die Region treu geblieben. Er steht heute an der Spitze der Cargomind Group. Diese wurde im Jahr 2005 gegründet und beschäftigt aktuell 210 Mitarbeitende an 22 Standorten in elf Ländern in Zentral-, Ost- und Südosteuropa. In 2018 betrug der Umsatz 73,8 Mio. Euro.
Kerngeschäft der Cargomind Group sind Dienstleistungen in der weltweiten Luft- und Seefrachtspedition, ergänzt um Lagerlogistik, Distribution, Beschaffung und Zolldienste. Dabei nimmt der Flughafen Wien eine wichtige Rolle als Drehkreuz für die Bedienung der Regionen in Ost- und Südosteuropa ein. „Doch der Standort darf sich nicht zurücklehnen. Ansonsten könnte er zwischen München und Budapest aufgerieben werden“, warnt Uwe Glaser. Vor allem der Airport in der ungarischen Hauptstadt habe zuletzt große Investitionen in die Schaffung von modernen Anlagen für den Luftfrachtverkehr getätigt. Daraus könnte mittelfristig eine erhebliche Konkurrenzsituation zum Vienna International Airport entstehen.
JOACHIM HORVATH