RANKWEIL. Seit mehr als 20 Jahren organisiert die ROAD International Transport & Logistics GmbH mit Sitz in Rankweil in Vorarlberg Transporte von Zentraleuropa zu Zielen im Vereinigten Königreich und retour. In dieser Zeit habe sich einiges verändert, erzählt Heribert Stemer. Speziell auf den Verbindungen von Österreich nach England seien viele Sendungen von den Speditionen zu den Transporteuren abgewandert oder wie er es formuliert: „Diese Verkehre sind ein reines Frächter-Geschäft geworden“. Als Konsequenz daraus hat sein Unternehmen den Eigenfuhrpark auf zwei Lkw-Züge reduziert und alle anderen Fahrzeuge durch Partnerschaften mit sechs Frächtern mit zusammen rund 25 Trucks ersetzt.
Dass die ROAD International Transport & Logistics GmbH überhaupt noch im England-Verkehr mitmischt, liegt in der starken Position der Spedition in der Schweiz begründet. Etwa 70 Prozent aller UK-Sendungen werden im Auftrag von Firmenkunden mit Ladestellen in der Eidgenossenschaft abgefahren. Sie schätzen das von den Stückgut-, LTL/FTL- sowie Kühlverkehren bis zu den spezialisierten Zollservices reichende Leistungsspektrum des Unternehmens. Der Export boome gerade, berichtet Heribert Stemer. Inwieweit das in der Angst der Logistikmanager vor dem nahenden Brexit begründet liegt, vermag er nicht zu beurteilen. Jedoch spürt er bei den betroffenen Unternehmen schon eine gewisse Aufregung.
Damit einher gehen vermehrte Anfragen von UK-Exporteuren nach Lösungen zur Eindämmung der negativen Folgen des Brexit. Kürzlich wollte der Versandleiter eines bedeutenden Vorarlberger Industrieunternehmens von Heribert Stemer wissen, ob ihm das Team von ROAD International Transport & Logistics im Ernstfall Lösungen mit vorgeschobenen Lagerstandorten im Vereinigten Königreich anbieten kann. Dazu sei man in der Lage, gab der Befragte mit dem Hinweis auf die seit 2011 gepflegte Partnerschaft mit der Spedition IFL als Antwort. Letztgenanntes Unternehmen betreibt in Birmingham einen Standort mit Abschnitten für den Stückgutumschlag und für das Warehousing, der in das Distributionsnetz der Palletways Gruppe eingebettet ist.
So postitiv sich das anhört, so begrenzt sind die vorhandenen und jetzt schon gut ausgelasteten Lagerfazilitäten. Die Kapazität dürfte knapp werden, wenn sich viele Interessenten für die Einrichtung von vorgeschobenen Lagerstandorten im Vereinigten Königreich entscheiden. Jedoch bringt die steigende Komplexität der England-Verkehre auch etwas Gutes für die Speditionen mit sich. Sollte der Fall eines „harten Brexit“ eintreten, damit ist der Austritt von Großbritannien aus der Europäischen Union ohne eine verbindliche Vertragsvereinbarung gemeint, treten umgehend die Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) in Kraft. Die Folge davon wäre ein sprunghafter Anstieg der Nachfrage nach Transport- und Logistikdienstleistern mit dem entsprechenden Know-how, und daraus würde dem Team von ROAD International Transport & Logistics mit den langjährigen englischen Partnerschaften ein Vorteil entstehen.
Heribert Stemer bestätigt im Gespräch mit der Österreichischen Verkehrszeitung den von seinen Kollegen beklagten erhöhten Organisationsaufwand im England-Verkehr. Wer Ziele in den Zentrallagen der englischen Großstädte anfahren muss, der benötigt dafür ganz bestimmte Emissionszertifikate und Zufahrtsgenehmigungen. Ihre Ausgabe ist an strenge Bedingungen geknüpft – und an das Ausfüllen von zig Antragsformularen. Hinzu kommt die von den meisten Unternehmen im Vereinigten Königreich exzessiv praktizierte Anwendung von Zeitfenstermanagement-Systemen im Bereich der Warenanlieferung. Sie bestrafen zu spät eintreffende Fahrzeuge entweder mit langen Wartezeiten oder mit Vertragsstrafen (Pönalen).
An diese herausfordernden Umstände ist man bei ROAD International Transport & Logistics bereits gewöhnt. „Wir haben die Dinge im Griff“, bemerkt Heribert Stemer dazu. Ernste Sorgen bereitet ihm hingegen der Status quo an den „Hotspots“ für die Verschiffung der Lkw-Züge von Calais nach Dover. Da herrschten Zustände, die er nicht einmal in seinen schlimmsten Träumen für möglich gehalten hätte, berichtet der Unternehmer. Als er einmal kurzfristig für einen erkrankten Fahrer einspringen musste, schleusten sich bei einer gesetzlichen Pause bereits 250 Kilometer vor dem Fährhafen Calais unbemerkt 14 Flüchtlinge in seinen Lkw-Zug ein. Nur die genaue Einhaltung der begleitenden, unternehmensspezifischen Sicherheitschecklisten sowie die tatkräftige Unterstützung durch einen erfahrenen Rechtsanwalt in England bewahrte ihn und das Unternehmen vor einer Geldstrafe.
Die Flüchtlingsproblematik beschert den Transportunternehmen abgesehen von einem erhöhten administrativen Aufwand für das Ausfüllen dieser Checklisten eine stark steigende Frustration bei den Lkw-Fahrern. Es gibt immer weniger „Trucker“ mit der Bereitschaft zur Absolvierung von England-Touren, beobachtet Heribert Stemer mit Sorge. Mangels der entsprechenden Sicherheit für die Ware müssen die im Auftrag von ROAD International Transport & Logistics tätigen Fahrer spätestens 200 Kilometer vor Calais eine Ruhepause einlegen, damit sie den französischen Fährhafen dann in der kürzest möglichen Zeit passieren können. Dabei entstehen erhebliche Stresssituationen, die sich mit einem Ausweichmanöver über alternative Fährrouten wie zum Beispiel Rotterdam nach Hull vermeiden ließen. Nur ist diese Variante mit einem längeren Zeitaufwand und zumindest um ein Drittel höheren Fährpreisen verbunden, und das lehnen zahlreiche Verlader in Österreich und in der Schweiz ab.
JOACHIM HORVATH