Kapitalstarke Logistik-Start-ups und Ableger von riesigen Handelskonzernen aus Fernost machen sich bereit für den Sprung nach Europa. Nach einer Analyse der Strategieberatung Oliver Wyman wurden im Jahr 2018 weltweit 12 Mrd. USD Risikokapital in der Logistikbranche verteilt. Das entspricht mehr als einer Verdreifachung gegenüber dem Vorjahr.
Mit 7,1 Mrd. US-Dollar entfielen mehr als die Hälfte der Investitionen auf nur drei Unternehmen: Go-Jek aus Indonesien (Online-Plattform für Kurierdienste) sowie JD Logistics und die digitale Frachtbörse Manbang (beide aus China). „Die jungen Unternehmen erreichen damit rasant eine finanzielle Ausstattung auf dem Niveau etablierter Player“, sagt Joris D’Incà, Partner bei Oliver Wyman und Co-Autor der Analyse.
Mit ihrer Expansionsstrategie und ihrem oft überlegenen technologischen Know-how bedrohen die neuen Anbieter das Geschäft europäischer Spediteure. Um mitzuhalten und bestehende Kunden zu binden, müssen die etablierten Unternehmen ihre Digitalisierungsinitiativen beschleunigen – und ihre vorhandenen Trümpfe richtig ausspielen.
Trotz aktueller Herausforderungen im Heimatmarkt plant JD.com, ein aufstrebender Online-Händler aus China, eine stufenweise Expansion in Europa; Investitionen in Milliardenhöhe sollen zum Erfolg führen. Diese Entwicklung fordert nicht nur Händler, sondern auch Logistiker heraus, da die Konkurrenz aus China ihre Warensendungen über eigene Transportunternehmen abwickeln wird – und diese auch für Aufträge anderer Unternehmen öffnen will.
Für die angestammten Spediteure sind das aus zweierlei Gründen brisante Nachrichten: „Große Logistikvolumina werden für etablierte Logistikanbieter nicht mehr erreichbar, weil die neuen Wettbewerber aus Fernost diese intern abwickeln werden“, sagt Max-Alexander Borreck, Principal und Logistikexperte bei der Strategieberatung Oliver Wyman. Zudem streben diese Unternehmen mit modernster Technik danach, etablierten Anbietern Marktanteile abzujagen.
Acht asiatische Vertreter, sechs US-Firmen und ein brasilianisches Start-up finden sich in der Top-15-Liste jener Unternehmen, die in 2018 mit mindestens 100 Mio. USD finanziert wurden. Europäische Unternehmen sind nicht vertreten. In der DACH-Region sind die Investitionen in Logistik-Start-ups auf 73 Mio. USD (2017: 58 Mio. USD) angewachsen. Insgesamt kommt Europa auf Investitionen von gerade einmal 200 Mio. USD.
Die Angreifer aus Fernost haben eine Reihe von Vorteilen gegenüber den klassischen Spediteuren, so Joris D’Incà: „Sie sind als digitale Unternehmen gegründet worden und spielen diese Stärke von Tag eins an auch aus. Zudem verfügen sie über Zugang zum chinesischen Import- und Exportmarkt und zu schnell wachsenden, chinesischen Technologie- und Konsumgüterunternehmen.“
Etablierte Logistiker haben den Wettbewerb inzwischen mit hohem Ressourcenaufwand aufgenommen. Im Mittelpunkt stehen bisher die Digitalisierung der Kundenschnittstelle durch Online- und App-Lösungen sowie die Automation operativer Prozesse, beispielsweise mittels Robotern.
Die Digitalisierungs-Experten von Oliver Wyman skizzieren ein mögliches Zielbild für etablierte Logistiker. „Die schnelle Digitalisierung und Besetzung der Kundenschnittstelle durch die Logistiker ist absolut der richtige Weg“, sagt Berater Thilo Grunwald-Heinrich. Wichtig sei aber, dass die Digitalisierung damit nicht endet, sondern auf sämtliche Prozesse im Unternehmen ausgedehnt werde.
Und das braucht externe Partner: „Logistiker müssen Technologie-Kompetenz für Kernprozesse und die Gesamtarchitektur aufbauen. Für viele zukünftig wichtige Aktivitäten wie Payment, Daten-Visualisierung oder Tracking gibt es externe Lösungen, die mittels moderner Schnittstellentechnologie eingebunden werden können“, empfiehlt Oliver Wyman.